„An dem sollen sie euch erkennen: dass ihr einander liebt“. Das sagt Jesus im heutigen Evangelium. Ein Anspruch, der nicht zu erfüllen ist. Oder dürfen wir träumen, dürfen wir Visionen haben, ohne deshalb einen Arzt zu brauchen, wie ein Politiker vor Jahren formulierte. Die heutige Predigt beschäftigt sich damit. Mit der Forderung Jesu und mit unserer Hoffnung.
Diakon Rudolf Bittmann
02.Mai 2010, 5. Sonntag i.d. Osterzeit
Joh 13,31-33a.34-35
Wie geht es Ihnen bei diesen Worten Jesu? Er gibt uns ein neues Gebot, eines, das alle anderen einschließt, ja überholt: liebt einander!
Eigentlich dreht sich das ganze Leben Jesu um nichts anderes. Und eigentlich müsste die Geschichte der Kirche daher eine einzige Liebesgeschichte sein. Tatsächlich, das ist nicht zu leugnen, gibt es ja auch Gutes in dieser Richtung in der Kirche und ihren Gliedern. Die Caritas, sowohl als Institution, als auch als Spendenbereitschaft, als Fürsorge für Arme, für Kranke. Oder ganz allgemein als die Sorge um die Bewahrung von Grundwerten.
Aber wenn jemand sagen würde, die Liebe untereinander wäre das Kennzeichen der Christen? Nein, wir müssen das einfach zugeben, so jemand würde sich schlicht lächerlich machen.
Es liegt nahe, sich auszureden: die schlimmen Kreuzzüge sind lange vorbei, die Inquisition auch. Und für die manchmal zu Tage tretende Härte, Unsensibilität oder für das Zaudern diverser Kirchenführer können wir ja ebenso wenig wie für die persönlichen Fehltritte Einzelner.
Werden wir konkreter. Würden Sie sich trauen, unsere Gemeinschaft, hier und jetzt, als Liebesgemeinschaft, als die Gemeinschaft einander Liebender zu bezeichnen, ohne dabei rot zu werden? Dabei sind wir aber doch zusammen gekommen, um genau das zu feiern: die Liebe Gottes zu uns, die nur dadurch richtig wirksam werden kann, wenn wir sie leben und weitergeben.
Oder wollen Sie es noch konkreter? Ich habe als Diakon bisher etwa 150 Predigten gehalten. Dieser Tage habe ich ein wenig darin geblättert. Bei jeder einzelnen dieser 150 Predigten ging es im Grunde um die Liebe, die Liebe Gottes zu uns und um seinen Auftrag, einander zu lieben. Über den Daumen gerechnet habe ich etwa 1500 Stunden mit der Vorbereitung zu diesen Predigten verbracht.
Und was ist daraus geworden? Verstehen Sie mich richtig, nicht, was ist bei Ihnen daraus geworden – sondern was ist bei mir daraus geworden. Was hat sich bei mir geändert über die Jahre, in denen ich die Liebe Gottes predige?
Was ist daraus geworden? Ich bin selber ein mehr als bescheidenes Zeugnis für den Auferstandenen.
Unterm Strich und im Ganzen gesehen: es gibt gute Ansätze in der Kirche, dieser Hinterlassenschaft Jesu, ein paar Erfolg versprechende Versuche. Aber genau genommen bleibt von einer Liebesgeschichte nichts über. Und das bleibt an uns hängen. Da können wir uns nicht ausreden auf alte Geschichten oder neues Versagen von irgendwelchen Kirchenfunktionären.
Es ist zum Verzweifeln. Offenbar wird zuviel verlangt von uns. Wir müssten gehen, davonlaufen. Ehrlich und ohne weiteren Vorwand, sondern einfach, weil wir dem Anspruch nicht gewachsen sind.
Wir müssten gehen, wenn da nicht ein Traum wäre.
Der Traum, den Johannes geträumt hat, der Traum, den ich träume, der Traum, den sie träumen. Es wird ein neuer Himmel und eine neue Erde sein. Und es wird ein neues Jerusalem, eine neue Stadt Gottes sein.
Nicht ein Jerusalem, in dem sich Juden, Muslime und Christen im Namen des selben Gottes bekriegen. Sondern eine neue Stadt, in der Gott selbst wohnt, in der alle, wirklich alle Menschen Platz haben und in der es nicht mehr auf unsere persönliche Unfähigkeiten ankommt.
In diesem Traum liegt alles.
Und es träumen ihn so viele, dass der Traum tatsächlich zum Beginn der neuen Wirklichkeit wird.