Im Rahmen einer ökumenischen Feier predigte Pfarrer Slawomir Dadas in der evangelischen Christuskirche.
Pfarrer Dr. Slawomir Dadas,
24.Mai, Pfingstmonntag
Evangelische Christuskirche
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
wenn ich schon einmal die Gelegenheit habe, Dank ihrer Pfarrerin Ingrid Bachler hier bei Ihnen zu predigen, dann möchte ich die Gelegenheit dazu nützen, Sie in die Welt einer besonderen Disziplin – die immer mehr Menschen im Leben in Anspruch nehmen – in die Osteologie ein wenig einzuführen. Sie brauchen sich nicht zu fürchten; das ist nichts spezifisch Katholisches und nichts, was meine Freundschaft zu Ihnen aufs Spiel setzen könnte. Osteologie ist ein besonderer Teil der Anatomie, der sich mit dem Skelettsystem und mit der Beschreibung der Knochen beschäftigt, also auf gut Deutsch die Knochenlehre.
Ich nehme an, dass es hier unter uns Menschen gibt, die bereits Knochenbrüche erlebt haben. Vielleicht gibt es einige mit einem medizinischen Ausweis, der bestätigt, dass sie Platin oder Titan im Hüftgelenk, im Knie oder im Kiefer mit sich führen. Vielleicht haben einige eine Platte und ein paar Schrauben nach einem gebrochenen Bein oder nach einer gebrochenen Hand im Körper. Wir sind sehr froh darüber, was im Bereich der Medizin heutzutage möglich ist: dass ein beschädigtes Gelenk oder ein gebrochener Knochen – und dadurch unser Bewegungsapparat – wieder repariert werden kann. Diese Fähigkeiten könnten uns den Glauben verleihen, dass der Mensch – wenn nicht heute, dann vielleicht morgen – zu allem im Stande ist. Ja, wir könnten meinen, dass die Verbindung der Osteologie mit der Chirurgie die Möglichkeiten schafft, mit den Knochen wie mit einem Puzzlespiel umzugehen. Denn warum sollte ein guter Arzt nicht fähig sein, die ca. 208 Knochenteile, die jede und jeder von uns in sich trägt, nach Belieben zusammenzuschrauben, zu ergänzen, und zu ersetzen. Und wenn man hunderte Spezialisten hätte, dann wäre die Idee nicht abwegig, aus den Knochen, von denen Ezechiel spricht, bewegungsfähige Skelette zusammenzustellen. Und wenn man dazu noch hunderte anerkannte plastische Chirurgen nehmen würde, die in Transplantationen aller Art Erfahrungen haben, dann könnte man vielleicht sogar glauben, dass sie diese Skelette mit Muskeln und Haut überziehen könnten. Dann wäre die Vision des Propheten Realität, oder? Nein, an dieser Stelle muss ich Sie enttäuschen, denn dazu würde noch etwas fehlen, eine Kleinigkeit, aber eine alles Entscheidende: und zwar der Odem, der die Knochen und das Fleisch erst lebendig macht. Den Odem, den Geist, mit dem alles Tote angehaucht werden sollte, um lebendig zu werden, den kann unsere Medizin noch nicht reproduzieren.
Aber gehen wir ganz kurz zum Text aus dem Buch Ezechiel. Die Vision des Propheten zielt auf die nationale Erneuerung des Volkes Israel, das nicht nur im Exil, sondern darüber hinaus scheinbar hoffnungslos und ohne Bezug zu seinem Gott lebt und dadurch als tot und ausgetrocknet bezeichnet werden kann. Diesem verzweifelten, leblosen, aufgelösten und zerrütteten Volk tritt der Prophet gegenüber, zuerst als Zuschauer und danach als handelndes Werkzeug. Er nimmt die Misere wahr und lässt sich auf den Auftrag Gottes ein. Auch wenn er sich nicht traut ein Urteil abzugeben, ob eine Rettung noch überhaupt möglich ist, verlässt er sich auf den Herrn, der als einziger ein solches Wissen besitzt. Im Vertrauen auf ihn und auf seine rettende Macht ist er bereit, dem toten Haufen ein neues Leben zu weissagen. Und in diesem Moment, in dem er dem hoffnungslosen Volk die Botschaft vom zugesagten Leben brachte, bewegte sich das scheinbar Unbewegliche. Der Wind, der Odem belebte sie, aber sie brauchten noch die Erkenntnis Gottes, dass er sie aus der Not herausführt und begleitet. Sie brauchten seine Zusage, dass er sie mit seinem Geist beschenkt, damit sie ihm treu bleiben und unter dem Schutz des Schöpfers im dauerhaften Wohlstand und Frieden leben können.
Diese Prophezeiung mit anschaulicher Metaphorik faszinierte die jüdischen und frühchristlichen Ausleger, die nicht selten dazu neigten, darin ein Bild der künftigen Auferstehung zu sehen. Darum wird dieser Text in der Synagoge als Prophetenlesung in der Festwoche des Paschafestes vorgetragen. In der katholischen Kirche wird er in der Osternacht gelesen in der Erinnerung an die Heilsgeschichte und an die Zusagen des Heils, die uns in der Taufe gemacht wurden. Denn gerade in der Taufe wird das Kind in den Geist Gottes, in den Odem des Lebens eingetaucht, um seinen Weg im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe zu gestalten. In der Taufe wird das Kind von Gott angehaucht, um zur neunen, auserwählten und gottgewollten Schöpfung zu werden.
Wir Menschen brauchen immer wieder die Osteologie, um uns körperlich schmerzfrei vorwärts bewegen zu können. Noch mehr brauchen wir aber die Pneumatologie, also die Lehre vom Geist Gottes. Denn er, der Heilige Geist schenkt dem Leblosen das Leben, dem Hoffnungslosen die Zukunft, dem Zerrütteten und Zerschlagenen die Heilung. Er, der Odem des Schöpfers bewirkt, dass das Totgeglaubte auferstehen kann, dass das Aufgegebene einen Neubeginn erblickt.
Darum ist das Pfingstfest ein besonderer Tag im Leben jeder Kirche. Darum versammeln wir uns hier, um unserem „Lebensatem“, dem Geist Gottes, bei uns einen Raum zu geben. Wir bitten ihn, dass er uns stärke und begleite und uns mit seinen Gaben beschenke. Wir danken ihm für seine Charismen, mit denen er die Menschen zum Wohl der Gemeinschaft ausstattet, damit alle das Leben in Fülle haben können. Wir glauben daran, dass der Geist, der das Volk Israel erneuert und unter dem Schutz Gottes ins gelobte Land zurück geführt hatte, auch bei uns heute wirkt und das Tote und das Ausgetrocknete unserer Zeit zum neuen Leben erwecken kann. Denn unser Gott ist der Gott des Mitgefühls, wenn Menschen in den Tod hinein laufen? Unser Gott ist der Gott des Lebens, der Freude daran hat, wenn das Leben seiner Kinder gelingt.