„Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stellte sich hin und sprach leise dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. Ich faste zweimal in der Woche und gebe dem Tempel den zehnten Teil meines ganzen Einkommens. Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wagte nicht einmal, seine Augen zum Himmel zu erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser kehrte als Gerechter nach Hause zurück, der andere nicht.“ (Lk 18, 10-14)
30. Sonntag im Jkr.
Liebe Schwestern, Liebe Brüder,
kennen Sie solche Aussagen wie: ich brauche nicht zu beichten, denn ich habe niemand umgebracht; ich stehle nicht; ich lebe noch immer mit demselben Mann, was Buße genug ist und die restlichen Kleinigkeiten sind nicht der Rede wert? Finden Sie sich in einer davon wieder? Sie erinnern ein wenig an das heutige Evangelium oder? Da es aber darin nicht um die Beichte, sondern um die Gerechtigkeit geht, möchte ich Sie einladen über diesen Begriff nachzudenken. Natürlich geht es dabei nicht um eine Betrachtung aus der Sicht einer Gesellschaftstheorie sondern im religiösen Sinn, also im Zusammenhang mit Gott.
So muss ich Sie fragen: Fühlen Sie sich gerecht vor Gott? Wenn ja, worauf führen Sie dieses Gefühl zurück? Auf Ihren Gottesdienstbesuch an den Sonn- und Feiertagen? Auf Ihr Bemühen, den Kindern die christlichen Werte zu vermitteln? Auf den jährlichen Kauf der CTK-Kerze? Wie ist man denn gerecht vor Gott?
Bei der Gerechtigkeit vor Gott geht es zuerst nicht um die einzelnen Taten, wie der Pharisäer im Tempel es meinte, sondern um eine allgemeine Lebenshaltung. Diese stützt sich auf die Tatsache, dass Gott Mensch und dadurch allen Menschen gleich geworden ist. Die Gerechtigkeit bedeutet also, alle als Schwestern und Brüder anzunehmen, allen im Geist der geschwisterlichen Liebe zu begegnen. Der Pharisäer tat zwar viel Gutes und erfüllte die meisten vorgeschrieben Gesetze. Was ihm aber fehlte, war die Bereitschaft, auch den Zöllner als Kind Gottes zu sehen und ihm mit Achtung zu begegnen. Die Gerechtigkeit vor Gott kann man sich weder kaufen noch durch religiöse Leistungen erarbeiten. Mit ihr wird man beschenkt, wenn man sein Herz den anderen gegenüber öffnet; niemanden verachtet, niemanden abschreibt, niemandem den Zugang zum Heil abspricht.
Aus dieser Achtung vor der Würde jeder Frau und jedes Mannes – weil jeder ein Abbild Gottes ist – entstehen gerechte Handlungen, die etwas mit der Verantwortung für das Leben und das Heil jedes einzelnen Menschen zu tun haben. Diese Verantwortung ist das Fundament der Nächstenliebe und der Barmherzigkeit. Sie hat mit der Gerechtigkeit Gottes etwas zu tun, weil es in ihr nicht um die Perspektive der Menschen geht, nicht um ein gutes Image und nicht um Taten, die mir Anerkennung und Wertschätzung anderer bringen. Diese Verantwortung mündet in dem Willen Gottes, den Menschen mit dem Leben in Fülle zu beschenken: mit der Fülle, die man bereits jetzt in der Vergänglichkeit und Beschränktheit des Lebens erfahren kann aber auch mit der Fülle, die einmal bei Gott keine Grenzen kennt. In diesem Sinne ist die Gerechtigkeit vor Gott der feste und dauerhafte Wille, jedem zu einem würdigen Leben zu verhelfen und der ständige Einsatz, es zu ermöglichen.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
wenn wir also heute den Sonntag der Weltkirche und ihrer missionarischen Sendung feiern, tun wir es mit ruhigem Gewissen auch wenn uns bewusst ist, dass es uns gut und vielen Menschen auf der Welt schlecht geht. Wir begehen diesen Tag in der Verantwortung für und in der Verbundenheit mit diesen Menschen. Unsere Verantwortung zeigt sich in unserem Einsatz für eine gerechtere Welt, für eine Politik, die unseren Wohlstand nicht auf Kosten der Drittländer garantiert. Wir stärken die Kräfte, die die Rechte der Frauen und der Kinder wahren und die gegen die gesellschaftliche Ausbeutung jeder Art auftreten. Unsere Verbundenheit bringen wir durchs Teilen zum Ausdruck. Dadurch verbessern wird zumindest punktuell die Welt und machen sie ein wenig gerechter. Denn die Gerechtigkeit ist eine Haltung, die uns zu konkreten Taten bewegt.
Slawomir Dadas
Pfarrer