Liebe Schwestern, liebe Brüder,
die Nachahmung spielt in der Entwicklungspsychologie eine wichtige Rolle. Es ist natürlich, dass ein Kind die Verhaltensweisen seiner Umgebung, seiner Eltern, Geschwister und Freunde übernimmt; oft unbewusst, zum Teil aus Schutz, zum Teil wegen einer Belohnung. Die Anpassung des Einzelnen an die Menschen, mit denen er lebt, vermittelt Sicherheit und vermeidet ständige Auseinandersetzung mit der anderen.
Eine zweite Form der Nachahmung ist im Jugend- und im Erwachsenenalter zu beobachten. Dabei geht es um die bewusste Entscheidung für einen konkreten Beruf oder eine Lebensform, mit der sich jemand identifizieren kann. In einem solchen Fall geht es auch um den Willen, etwas zu erreichen, zu dem man sich hingezogen fühlt.
Dieser Nachahmungsmechanismus ist mit einer großen Verantwortung verbunden. Denn bei der Begleitung – besonders junger Menschen – darf es nicht darum gehen, dass sie zu einer möglichst getreuen Kopie des Vorbildes werden. Es geht darum, dass sie den Sinn und die Hintergründe eines Handelns erfassen und dann sinngemäß, aber vor allem der eigenen Persönlichkeit entsprechend, handeln.
Nur in diesem Geist lassen sich das heutige Evangelium und der Aufruf Jesu, seinem Beispiel zu folgen, verstehen. Jesus ging es weder um ein Ritual noch um eine außergewöhnliche Handlung, die zu kopieren wären. Es ging ihm auch nicht darum, Petrus bloß zu stellen, weil er sich wieder einmal blöd zu Wort meldete. Jesu ging es um das richtige Gottesbild, um die Frage, was will Gott von mir, was will er an mir tun und was kann ich von ihm erwarten? Die Apostel waren noch immer in ihren damals üblichen Vorstellungen von Messias und von seiner Sendung verhaftet. Sie waren sicher sehr stolz, als die Massen ihm zujubelten, als er sie satt machte und als ihn einige zum König erheben wollten. Sie waren voller Bewunderung als er die Pharisäer immer wieder rhetorisch besiegte und einen Gott der Befreiung von den gesellschaftlichen Zwängen verkündete und vorlebte. Ein wenig seines Ruhmes floss dabei auch auf sie über. Aber Gott und Jesus geht es nicht um Ruhm, nicht um Macht und nicht um die Privilegien. Ihm geht es nicht um Wunder, als Zeichen der Bestätigung seiner Person, und nicht um irgendwelche Beweise für seine Größe.
Gott geht es um den Menschen, der – verstrickt in die Sünde – dem Tod entgegen lebt. Ihm geht es um die Befreiung aus Verzweiflung aber auch aus falschen Sicherheiten, die hier und dort angeboten werden. Ihm geht es um den Beistand besonders dort, wo die Gesellschaft, die selbst begrenzt ist, nichts mehr anzubieten hat.
Jesus vermittelt keinen Gott nach dem Beispiel der Großen dieser Welt, die sich mit Leibwächtern umgeben und in Palästen einsperren, um vom Volk nicht gestört zu werden. Er lebt einen Gott vor, der sich zu den Menschen hin beugt, der die Nöte sieht und auf sie eingeht.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
der Gründonnerstag ist eine vielschichtige Anfrage an jede und jeden von uns persönlich. Zuerst werde ich gefragt, ob ich Gott überhaupt nachahme? Gehört Jesus zu den Vorbildern meines Lebens? Handle ich christlich? Wenn ja, dann eher unbewusst, weil ich es in der Kindheit so gelernt habe und mir dafür seinen Schutz oder Lohn erwarte? Oder bewusst, weil ich mich entschieden habe, als Gottes Kind sichtbar in der Welt zu leben?
Ich werde auch danach gefragt, welchem Gott ich folge? Einem fernen, der erst um meinen Tod herum interessant wird, oder einem nahen, der bereits jetzt mit mir geht, mich begleitet, der aber auch mich braucht, damit seine Botschaft klar in der Welt leuchtet.
Ich wünsche uns allen, dass uns der Gründonnerstag dem Wesen und dem Sinn vom Wirken Gottes näher bringt. Ich wünsche uns, dass uns seine Präsenz in den Gestalten von Brot und Wein Kraft gibt, ihn nachzuahmen und so vorzuleben, dass möglichst viele Menschen mit ihm gehen, sich von ihm heilend berühren und beschenken lassen und sich entscheiden, bewusste Zeugen seiner Gegenwart unter uns zu werden.
Slawomir Dadas