Jetzt aber gehe ich zu dem, der mich gesandt hat, und keiner von euch fragt mich: Wohin gehst du? Vielmehr ist euer Herz von Trauer erfüllt, weil ich euch das gesagt habe. Doch ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden. Und wenn er kommt, wird er die Welt überführen (und aufdecken), was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist; Sünde: dass sie nicht an mich glauben; Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich nicht mehr seht; Gericht: dass der Herrscher dieser Welt gerichtet ist. (Joh 16,5-11)
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
wer mit Märchen aufgewachsen ist, der kennt die Erzählungen von ganz verschiedenen Wesen, die imstande sind, die Wünsche der Menschen zu erfüllen: In einem russischen Märchen ist es einmal der kleine goldene Fisch, der dem Fischer zum Glück verhelfen will; bei den Gebrüdern Grimm ein Männlein aus dem Baum, das die Not des Holzfällers beenden möchte. Trotz aller Unterschiede, die jede Geschichte einzigartig machen, haben sie einige Gemeinsamkeiten: Zum einen beschreiben sie die Sehnsucht nach einem glücklichen Leben. In den beiden angesprochenen Märchen wird das Glück vor allem im materiellen Reichtum gesehen, beide gehen auch ähnlich aus. Zum anderen haben weder der Fischer noch der Holzfäller ihr Leben sinnvoll und dauerhaft verändern können. Was ihnen geblieben ist, war weiterhin die Sehnsucht nach Glück und der Schmerz der ungenützten Chance.
Auch wenn wir nicht in der Märchenwelt leben, sehnen wir uns nach einem geglückten Dasein. Um es zu erreichen, fahren wir aber nicht ans Meer, mit der Hoffnung dem goldenen Fisch zu begegnen und wir gehen auch nicht in den Wald mit dem Glauben an ein Baummännlein. Wir kommen zu Christus, der uns reich beschenkten möchte. Sein Reichtum ist anderer Natur, als der, der durch die Werbung angepriesen wird. Er sendet uns seinen Geist, der uns in die Geheimnisse des Lebens einführen will. Und wie es so bei Gott der Fall ist, deckt sich seine Vorstellung vom Glück nicht immer mit der der Menschen. Wenn Jesus im Johannesevangelium die bedrängten und die betrübten Jünger trösten und ihnen den Weg zu einem erfüllten Leben zeigen möchte, dann spricht er nicht von großen Häusern und Palästen und nicht von den Titeln, die Anerkennung in der Gesellschaft garantieren sollen. Er spricht von einem Beistand, der aufdecken wird, was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist.
Es ist also nicht das Materielle, das die Sehnsucht nach einem glücklichen Leben stillen kann, was in Not aufrichtet und Trost spendet. Es ist die befreiende Klarheit über Sünde, Gerechtigkeit und Gericht. Gerade diese drei wollen wir uns jetzt ein wenig genauer anschauen und uns darauf einlassen, wie sie von Jesus verstanden wurden.
Die Sünde „dass sie nicht an mich glauben“.
Wenn jemand nicht in Jesus den Erlöser sieht und nicht in ihm die Erlösung findet, dann sucht er andere Erlösungsmöglichkeiten. Manchmal glaubt jemand, sie im Reichtum gefunden zu haben, manchmal in der Macht und im Gefühl andere beherrschen zu können und manchmal in einer grenzenlosen Unabhängigkeit, die auf niemand Rücksicht nimmt. All dies sind nur Scheinerlösungen, die kein dauerhaftes Glück garantieren. Darum heißt die aufgedeckte Sünde: Statt an Jesus als Erlöser zu glauben, sich Götzen zu schaffen und das Leben ohne Gott zu gestalten.
Die Gerechtigkeit „dass ich zum Vater gehe“.
Unter Gerechtigkeit verstehen wir oft den idealen Zustand des sozialen Miteinanders und die angemessene Verteilung der Güter zwischen den Personen und Gruppen. Für Jesus bedeutet die Gerechtigkeit zum Vater zu gehen, also die Erfahrung des endgültigen Heils, das die Welt nicht geben kann. Ein Gerechter ist folglich nicht jemand, der wie die Pharisäer eine Anzahl von Geboten treu erfüllt und glaubt, sich dadurch das Heil „erarbeiten“ zu können. Ein gerechter ist jemand, der sich auf das Heil Gottes einlassen kann, der bereit ist, sein Leben auf Gott auszurichten, um von ihm geheilt und gerecht gemacht zu werden.
Das Gericht „dass der Herrscher dieser Welt gerichtet ist“.
Vor Gericht zu stehen ist oft mit dem Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins verbunden. Die Fragen „Wie geht es aus?“ „Kann ich meine Unschuld beweisen?“ beschäftigen jeden, der auf der Anklagebank sitzt. Auch Jesus musste diese Erfahrung machen. Er wurde verurteilt. Aber gerade sein Tod ist zum größten Gericht über die Welt geworden. In seinem Tod zeigte sich, wer auf der Seite der Schwachen und der Ausgeschlossenen steht und wer sich mit den Verleumdern und Hassern identifiziert. In seinem Tod zeigte sich, wer aus der Liebe und wer aus Angst, an Ansehen zu verlieren, handelt. Sein Tod richtet diese Welt und ihren Herrscher, der die Menschen zum Leben ohne Gott und in Egoismus und Selbstgerechtigkeit verführt.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
Pfingsten ist ein Fest des geglückten Lebens. Es ist ein Fest, an dem wir den Geist Gottes spüren. Ich wünsche uns allen, dass wir uns von ihm stärken und ermutigen lassen. Ich wünsche uns, dass es uns gelingt, den verheißenen Beistand in den Alltag einzulassen, damit er uns begleitet und zum Leben in Fülle hinführt.
Slawomir Dadas
Pfarrer