Christin-, Christsein in unserer Zeit

Ich weiß Entbehrungen zu ertragen, ich kann im Überfluss leben. In jedes und alles bin ich eingeweiht: in Sattsein und Hungern, Überfluss und Entbehrung. Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt. Trotzdem habt ihr recht daran getan, an meiner Bedrängnis teilzunehmen. (…) Mein Gott aber wird euch durch Christus Jesus alles, was ihr nötig habt, aus dem Reichtum seiner Herrlichkeit schenken. Unserem Gott und Vater sei die Ehre in alle Ewigkeit! Amen. (Phil 4,12-14;19-20)

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

aus den Gesprächen mit den älteren Menschen weiß ich, dass sich Österreich in den 20-er und 30-er Jahren des vorigen Jahrhunderts als sehr homogen, also einheitlich im Bereich der Kultur, Religion und Rasse erfahren hat. Zwar prägte die Monarchie das Gefühl des Vielvölkerstaates, trotzdem waren die dazu gehörenden Tschechen, Slowaken oder Ungarn so integriert, dass sie nicht als fremd erlebt wurden. Einige erzählten mir, dass sie den ersten schwarzhäutigen Menschen erst im Krieg sahen, als die amerikanischen Soldaten hier stationiert waren. Da sie aber doch schnell abgezogen wurden, war die gesellschaftliche Einheitlichkeit wieder gegeben. Auch ich hatte einen solchen Eindruck, als ich vor über zwanzig Jahren nach Linz kam. Ja sogar im Priesterseminar gab es 1989 noch über 50 Seminaristen. Die Welt schien damals noch in Ordnung zu sein.

Seit dem hat sich aber sehr viel verändert. Österreich ist ein multikulturelles und multireligiöses Land geworden. Die globalisierten Verhaltensweisen stellen die bisherigen Traditionen in Frage. Die unterschiedlichen religiösen Prägungen, aber auch die Antiglaubensströmungen und in der letzten Zeit die kirchlichen internen Verfehlungen und Auseinandersetzungen machen unsicher und verleiten einige zu einer kritischen und laxen Haltung dem Glauben und der Kirche gegenüber. Zwar behaupten die meisten Menschen in der Gesellschaft, dass sie an Gott glauben, viele verstehen aber den Glauben als eine Art magische Kraft von oben, die sie vor dem Bösen bewahren sollte. Ein solcher Glaube hat kaum etwas mit der Gemeinschaft zu tun und kaum etwas mit konkreten Praktiken, durch die er zum Ausdruck gebracht werden sollte.

Es ist also nicht verwunderlich, dass eine solche Situation ein Nährboden für Fundamentalisten ist, die Sicherheit und Heil versprechen. Es ist auch sehr menschlich, dass wir manchmal der Sehnsucht nach religiöser Geborgenheit nachgeben und von einer Insel der Seligen träumen, auf der alle aus der Botschaft Jesu heraus handeln und als eine Gemeinschaft der Heiligen leben.

Christin- oder Christsein in unserer Zeit, egal oder wichtig, einfach oder schwierig?

Die Antworten auf diese Fragen können nur eindeutig ausfallen. Es ist nicht egal, sondern wichtiger denn je, als Christin oder als Christ zu leben. Es ist wichtiger denn je, sich zur Gemeinschaft der Glaubenden zu bekennen und das Leben der Gemeinschaft der Kirche mitzugestalten und mitzuprägen. Der Grund dafür kann nicht im gesellschaftspolitischen Interesse liegen, damit z.B. Österreich christlich bleibt und die Traditionen nicht verloren gehen. Der Grund kann nur religiös sein: damit die Menschen zu Gott finden und das Leben in Fülle haben. Christus ist gekommen, um aus uns lebendige Zeugen seiner Botschaft zu machen, damit die Menschen das Heil erfahren. Unsere Aufgabe ist es also, diesem Heil zu dienen, alles daran zu setzen, damit möglichst viele am Heil Gottes bereits jetzt in ihrem Leben teilnehmen.

Ob die Aufgabe schwieriger ist als vor fünfzig Jahren, wo alle aus der Tradition am Leben der Kirche teilgenommen haben, traue ich mich nicht zu sagen. Das damalige Gefühl, zu einer großen Mehrheit dazu zu gehören war sicher angenehmer, aber ich glaube nicht, dass es auf meine persönliche Entscheidung – für Christus zu leben und seine Botschaft zu meinen Leitlinien zu machen – einen so großen Einfluss hätte.

Es ist in einer solchen Situation manchmal schwieriger auszuhalten, dass die Menschen Gott und uns als seine Gemeinschaft ignorieren. Es ist schwieriger, nicht dem Wunsch zu verfallen, fundamentalistisch zu denken, sich von der Vielfalt bedroht zu fühlen, sie abzulehnen und in die Abgrenzung zu flüchten. Es ist aber nicht schwieriger für sich zu sagen, ich gehe den Weg mit Gott, ich lasse mich vom Heil Gottes berühren, ich zeige den Menschen, dass Christus und seine Botschaft gerade in der heutigen Zeit  zu einem besseren Leben – weil zum Leben in Fülle –  verhelfen könnten.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

wenn wir den Glauben als eine persönliche Entscheidung für das Heil Gottes verstehen, gibt es für ihn keine besseren und keine schlechteren Zeiten. Jede Zeit verlangt das in Freiheit ausgesprochene Ja zu Gott, damit er uns an seinem Plan teilnehmen lässt; manchmal mit der Masse, manchmal gegen sie. Ich wünsche uns, dass es uns gelingt, nur auf Gott zu bauen, der uns versprochen hat, uns mit allem Nötigen zu beschenken und einst an seinem Tisch beim großen Fest des Friedens und des Lebens zu versammeln.

Slawomir Dadas

Pfarrer