Vor jedem Gottesdienst sollten wir uns die Frage stellen: was hat der Gottesdienst mit unserem Nächsten zu tun. Wie gehören Gott und die Mitmenschen zusammen?
Mit der Weltkirche feiern wir heute bzw. morgen den Missionssonntag, machen uns bewusst, dass wir zu einer weltweiten Kirche gehören, weil Gott in allen Völkern das Evangelium verkünden und Frucht bringen lässt.
Mission geschieht dort, wo wir das Reich Gottes zu leben beginnen, wo seine Grundzüge in den Allteag hineinwirken und ihn verändern – hier und in der weiten Welt.
Versuchen wir jetzt in dieser Stunde, Gott zu loben und die Menschen zu ehren.
30. Sonntag im Jahreskreis
248 Gebote und 365 Verbote zählten die jüdischen Schriftgelehrten. Alle waren penibel genau einzuhalten. Die so harmlos klingende Frage des Gesetzeslehrers nach dem wichtigsten Gebot war daher schon etwas hinterfotzig. Wenn ein Gebot wichtiger ist als die anderen, wenn es eine Reihung der Wichtigkeiten der Gebote gibt, dann gibt es ja auch weniger wichtige. Müssen die dann nicht mehr so beachtet werden?
Jesus hat eine Antwort parat, und er ist in seiner Antwort nicht einmal besonders originell. Er zitiert, was Moses schon gesagt hatte:
Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken“.
Du sollst Gott lieben – geht das überhaupt. Kann man Liebe gebieten, kann man Liebe fordern? Ist es nicht Überforderung, diesen verborgenen, unbekannten, unbegreiflichen Gott zu lieben? Gar dann, wenn er uns als rachsüchtiger, zorniger Gott vorgestellt wird, der vor nichts zurückschreckt, vor keinen Katastrophen, vor keinem Unglück für die Menschen, um seinen Willen durchzusetzen? So einen Gott kann man allenfalls fürchten, aber doch nicht lieben?
Wenn man Momente erlebt hat mit der Erfahrung: da ist ein Gott, der mich in Liebe berührt, Momente mit der Erfahrung: diesem Gott kann ich vertrauen, er versteht mich, er begleitet mich, dann wird es möglich, diese Liebe zu reflektieren, zurückzugeben. Auch, wenn die Höhepunkte, die intensiven Erfahrungen verblassen in Routine, Gewohnheit und Alltag.
Aber was, wenn nicht? Was, wenn Gott nie gespürt wurde, nie gefühlt wurde. Wie soll das dann funktionieren mit der Liebe zu Gott?
Jesus setzt daher gleich nach: du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
Ich muss da eine kleine Kritik an unserer Einheitsübersetzung anbringen. Korrekt übersetzt heißt es nicht „ebenso wichtig ist das zweite“, sondern es heißt: „das zweite ist dem gleich“. Es steht nicht nur nebeneinander, es ist nicht nur gleich wichtig. Dieses gleich meint wirklich, dass das zweite Gebot gleichbedeutend mit dem ersten ist. Das zweite Gebot erklärt das erste.
Die Liebe zu Gott, von ganzem Herzen, die verwirklicht sich darin, dass wir unseren Nächsten lieben, und zuallererst, dass wir uns selber lieben. Das hat natürlich nichts mit Egoismus, mit Ich-Sucht zu tun. Aber wenn wir uns selber nicht mögen, wenn wir uns selber nicht annehmen, dann können wir auch den Nächsten nicht mögen, und dann können wir schon gar nicht Gott mögen.
Sie kennen die Rede vom großen Gericht, in der der Herr sagt: ich war hungrig, und ihr habt mir zu Essen gegeben; ich war in Not, und ihr seid mir beigestanden.
Es geht nicht darum, dass wir Gott lieben sollen und darüber hinaus auch noch den Mitmenschen und auch noch uns selbst. Wir lieben Gott, indem wir den Mitmenschen lieben und indem wir zu uns gut sind.
Es ist eine große Gefahr, dass wir aus dem Blick verlieren, dass uns Gott vor allem im anderen Menschen begegnet. Wer vorgibt, und das oft durchaus glaubwürdig, die Kirche und Gott über alles zu lieben, und dabei übersieht, dass eben diese Kirche aus ganz konkreten Menschen besteht, dann verkommt die Liebe zu Gott und zur Kirche zur Liebe zu einer reinen Idee, völlig losgelöst von allem, was wirklich ist.
Diese Menschen zu lieben, das heißt, Gott zu lieben. Diesen Menschen zu dienen, das heißt Gott zu dienen. Das ist es, was er will von uns. Dass wir ihn lieben, von ganzem Herzen und mit all unseren Gedanken, indem wir den Nächsten lieben; und uns selbst.