„Er sagte: Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden. Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben;denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn so wurden schon vor euch die Propheten verfolgt.“ (Mt 5, 3-11)
Wir feiern das Fest Allerheiligen – wer aber sind die Heiligen, derer wir heute besonders gedenken? Waren das Super- und Übermenschen? Ist es wirklich so in der Kirche, dass nur einige wenige Menschen diesen Status erreichen können? Könnte ich vielleicht einmal zu ihnen gehören, obwohl mir von Klein an immer wieder gesagt wurde: Ein Heiliger kannst du nicht werden. Denn ein Heiliger ist jemand, der nicht lügt, der immer gut ist, der immer in einer Ecke des Lebens steht und immerfort betet, betet und betet.
Dem entgegen steht meine heutige Lebenserfahrung: niemand ist ohne Sünde, niemand ist immer nur gut und niemand betet ununterbrochen –. Ein Heiliger muss ein normaler Mensch sein: ein Mensch, der gerne unter Menschen ist, der isst und trinkt, der sich in der Natur erholt und der betet – alles zu seiner Zeit.
Gerade das heutige Fest Allerheiligen will das Klischee von verstaubten Sonderlingen abschaffen und will von der unzähligen Schar der ungenannten Heiligen reden, die aus allen Nationen und Völkern kommen, ohne feierlich zur Ehre der Altäre erhoben worden zu sein. Allerheiligen spricht also von Menschen wie dir und mir, von Bekannten und Unbekannten.
Heilige sündigen nämlich auch – genau wie alle anderen Menschen. Sie sind nicht fehlerlos, aber sie stehen zu ihren Fehlern, zu ihren Lebensgeschichten, und lernen daraus. Ein Heiliger ist zwar auch nur ein Mensch; aber ein Mensch, der immer wieder neu anfängt.
Das Scheitern gehört als ein ganz wesentlicher Stolperstein zum Leben, um überhaupt heilig werden zu können. Genau da können uns die Biografien der Heiligen Mut machen, genau darin liegt ihre Anziehungskraft. Unsere Fehler sind nicht vergeblich. Wir sind das was wir sind, aufgrund dessen, was wir erlebt haben, was wir gemacht haben. Und was wir sind, sind wir auch deswegen, weil wir nach dem Scheitern nicht liegen bleiben, sondern wieder neu und anders aufstehen.
Heilig ist jeder Mensch, der zu sich selbst findet, sich annimmt so wie er ist, weil er sich angenommen erlebt und sich nach dem Maß seiner Talente verwirklicht.
Heilig bin ich, wenn ich am Ende meines Lebens nicht Mose, nicht Franz von Assisi und nicht Teresa von Avila bin oder sein wollte, sondern Niko Tomic – einmalig und unwiederholbar.
Wir denken heute besonders an Frauen und Männer, deren Leben gelungen ist, die glücklich ja selig sind. Männer und Frauen, die Gott in ihr Leben eingelassen haben; die sich auf ihre Weise um eine echte Gottesbeziehung bemüht und dadurch Erkenntnisse und Erfahrungen gewonnen haben.
Das waren Erkenntnisse und Erfahrungen, die andere Menschen nicht immer verstehen konnten oder wollten.
Die Seligpreisungen Jesu lenken unseren Blick aber nicht nur in die Vergangenheit, auf Menschen die schon lange tot sind. Die Haltungen, die in den Seligpreisungen angesprochen sind, sind ja immer gültig, sie sind möglich und sie sind auch in uns lebendig. So preist Jesus auch uns selig.
Jesus sieht die vielen Menschen vor sich. Es sind keine „außergewöhnlichen“ Menschen, es sind die einfachen Menschen – Leute wie du und ich. Aber in diesen Menschen erkennt Jesus Haltungen und Einstellungen, die ihn veranlassen, gerade diese Menschen „selig“ oder „glücklich“ zu preisen: Selig die unter uns, die sich nicht im Egoismus verschließen und ihr Herz verhärten lassen sondern offen und empfindsam bleiben. Selig die unter uns, die unter erschwerten Bedingungen leben müssen, denen nicht alles in den Schoß fällt und die dennoch bestehen.
Selig die unter uns, die voll von Trauer sind, denen noch etwas zu Herzen geht, die noch weinen können.
Selig die unter uns, die nicht aufgeben, an eine bessere, menschlichere Welt zu glauben, die sich nicht abfinden mit Ungerechtigkeit und Bosheit.
Selig die unter uns, die Kranke besuchen, die Nachbarn helfen, die sich um Ausgleich und Versöhnung bemühen.
Selig die unter uns, die sich für andere einsetzen, die an das Gute im Menschen glauben, auch wenn sie dafür verspottet oder belächelt werden.
Schwestern und Brüder
Wir alle sind Heilige, soweit wir uns von der Liebe Gottes prägen lassen und unseren Mitmenschen dadurch die Liebe Gottes sichtbar und spürbar wird.
Das Fest Allerheiligen ist nicht ein Fest von Staunen und Bildern, es ist des Fest meines/unseres Lebens, denn auch wir können ein heiliges Leben führen, wenn wir uns an die Bergpredigt halten. Sie war ja auch die Vorgabe für die großen Heiligen, die uns durch ihr Leben Interpretationsmöglichkeiten gezeigt haben.
An uns liegt es, dass diese Haltungen, die Jesus selig preist, nicht untergehen, sondern in uns und durch uns lebendig bleiben.
Niko Tomic
Kaplan