In der Heiligen Schrift lernen wir Jesus als einen Liebenden kennen. Als einen, der sich den Menschen zuwendet, der ihre Not erkennt und diese Not leichter macht.
Im heutigen Evangelium steht uns ein ganz anderer Jesus gegenüber: zornig, rabiat, gewalttätig im Tempel von Jerusalem.
Die Frage, die wir uns stellen müssen ist: würde Jesus auch heute und bei uns Gründe finden, derart auszurasten?
Für die Juden zur Zeit Jesu war der Tempel in Jerusalem der unbestrittene Mittelpunkt der Welt. Dort war die irdische Wohnung Gottes. Für jeden erwachsenen Juden war es Pflicht, mehrmals im Jahr zu den Wallfahrtsfesten nach Jerusalem zum Tempel zu kommen und dort sein Opfer dar zu bringen.
Geopfert wurden Tiere. Und da es für die Menschen, die oft von weit her kamen, schwierig war, so ein Opfertier selber mitzubringen, gab es im Tempel die Viehverkäufer, die das lebende Material für ein rechtes Opfer zur Verfügung stellten. Und die dabei sehr gut verdienten. Die Bezahlung wieder war nicht so einfach. Im Umland waren viele verschieden Währungen und Münzen im Umlauf. Opfertiere und Tempelsteuer durften aber nur mit einer koscheren Währung bezahlt werden. Also mussten die Pilger ihr Geld bei den Geldwechslern in diese saubere, „reine“ Währung umtauschen – die Geldwechsler verdienten natürlich daran, und das nicht schlecht. Wenn wir jetzt noch bedenken, dass es harte Konkurrenz zwischen den Bankmenschen gab, und ebenso harte Konkurrenz unter den Viehhändlern, und wenn wir uns jetzt noch den typisch orientalischen lauten Bazarbetrieb dazu denken, dann bekommen wir eine Vorstellung davon, wie es dort zugegangen sein muss. Ein wahrer Gottesdienst war sicher nicht möglich. Alles was blieb war die äußere Erledigung von Ritualen und von kultischen Vorschriften.
Wen wundert es, dass Jesus da in Rage gerät, dass er im wahrsten Sinn des Wortes ausrastet. Er kann nicht ertragen, dass das Haus seines Vaters so verkommen ist.
Nun, der Tempel wurde im Jahr 70 nach Christus völlig zerstört. Was kümmert uns also diese Geschichte heute noch?
Aber hat sich seit damals wirklich so viel grundlegend geändert? Na gut – wir schlachten hier keine Tiere, und eine Verkaufshalle oder Bankfiliale ist unsere Kirche auch nicht.
Neigen wir nicht alle dazu, rein äußerliche Riten zu absolvieren, den Gottesdienst, die sogenannte Sonntagspflicht, eben abzuleisten? Und endet nicht dieser unser „Gottesdienst“ meist gleich hinter der Kirchentür, wenn wir wieder in den Alltag treten?
Seit Jesus wissen wir, dass Gott nicht an einen Ort gebunden ist, weder an einen Tempel, noch an eine Kirche. Nicht der Raum macht den Gottesdienst aus. Gottesdienst besteht darin, die Liebe – also Gott selbst – anzunehmen und weiterzugeben. So, wie wir im Matthäusevangelium hören: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“.
Damit werden unsere Kirchen nicht überflüssig, ganz im Gegenteil. Hier erleben wir die Gemeinschaft, hier werden wir uns der Verbindung mit Jesus immer wieder ganz eindringlich bewusst.
Aber der wichtigste Tempel, die wichtigste Kirche der Gottesbegegnung ist der Mensch selbst. Nicht äußerliche liturgische Riten, auch wenn sie noch so feierlich sind, sind der wahre Gottesdienst, sondern die Hingabe an die Menschen. Ob bewusst oder unbewusst ist die immer auch Hingabe an Gott. Und jede Minute, die wir einem anderen schenken, jedes gute Wort, jede hilfreiche Tat ist Gottesdienst.
Jesus wollte klarmachen: Gott ist kein Handelspartner. Er und seine Liebe sind nicht käuflich. Er braucht keine Opfer, und er braucht auch keine Gebetsmühlen. Seine Liebe kann und braucht man nicht herbeizwingen.
Was Gott will sind Menschen, die bereit sind, selber zu Tempeln seines heiligen und heilenden Geistes zu werden.