Frühlingsgefühle

„Denn das wird der Bund sein, den ich nach diesen Tagen mit dem Haus Israel schließe – Spruch des Herrn: Ich lege mein Gesetz in sie hinein und schreibe es auf ihr Herz. Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein. 34 Keiner wird mehr den andern belehren, man wird nicht zueinander sagen: Erkennt den Herrn!, sondern sie alle, Klein und Groß, werden mich erkennen – Spruch des Herrn.“ (Jer 31,33-34)

 

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

können Sie das Leben so gestalten, wie Sie es sich erträumt haben, können Sie alles machen, was Sie im Herzen als gut und richtig erkennen? Oder trauen Sie sich nicht einmal alles auszusprechen, was für Sie wichtig ist, weil Sie spüren, dass vieles in Ihrer Umgebung kein Gehör findet?

Stellen Sie sich vor, dass Sie an einem Frühlingstag wie heute Besuch vom Erzengel Gabriel bekämen – von dem großen Boten Gottes. Er würde Ihnen keinen materiellen Wohlstand anbieten, keine Paläste, keine schnellen Autos, kein volles Konto in Luxemburg, weil solche „Schätze“ nicht unbedingt einen großen Wert bei Gott haben. Er könnte Ihnen eine Zeit schenken, in der Sie den göttlichen Willen genau erkennen und Kraft bekommen, um daraus zu handeln. Sie würden keine Ratgeber mehr brauchen, weil Sie auf Anhieb wüssten, ob die eine oder die andere Entscheidung gut und richtig ist. So könnten Sie Ihr Leben ohne gesellschaftliche Zwänge, manchmal gegen die Gesellschaft und gegen die kirchlichen Gesetze gestalten, weil Sie als Einzige die Garantie hätten, den Willen Gottes zu kennen. Da könnten Sie sogar zur Beraterin oder zum Berater des Papstes und der Bischöfe werden, wenn diese wieder einmal nach der Wahrheit suchen würden.

Ja, wenn der Erzengel Gabriel einmal vorbei schauen würde, könnte alles auf den Kopf gestellt und viele Herzenswünsche endlich frei werden, die so oft unterdrückt werden.

So ähnliche – ich traue mich zu sagen – solche Frühlingsgefühle, mussten die Zuhörer des Propheten Jeremia gehabt haben, als er eine neue Zeit mit Gott ankündigte. Das verzweifelte Volk, das sich bereits selbst aufgegeben hat, bekommt eine neue Zusage. Sie spricht nicht von Macht, von Reichtum, von Herrschaft über die Feinde. Sie spricht davon, dass jede und jeder einen direkten Zugang zu Gott haben wird. „Keiner wird mehr den anderen belehren, man wird nicht mehr zueinander sagen: Erkennt den Herrn!, sondern sie alle, klein und groß, werden mich erkennen.“ (Jer 31,34)

Was für ein Gefühl muss das gewesen sein, für die Menschen, die sich nach Gott gesehnt haben, denen aber der Zugang zu ihm durch Gebote und Verbote verschleiert wurde.

Auch uns ist gerade dieser Gott zugesagt: Gott, zu dem wir einen direkten Zugang haben können, der mit uns eine Beziehung eingeht, der uns hilft, der inneren Stimme zu folgen und in der Welt aufzublühen.

Gerade dieser Traum von einem blühenden Leben treibt einige von uns zum Dienst in der Kirche, zum Dienst an den Mitmenschen und konkret zur Caritas-Haussammlung. Dabei geht es nicht um Gesetze und Verpflichtungen, sondern um den Wunsch, den wir im Herzen tragen, dass es der Menschenfamilie gut geht, dass die in Notgeratenen nicht allein gelassen werden, dass Menschen Wege zu Gott und dadurch zu einem gelungenen Leben finden.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

das Leben muss nicht in einer Knospe stecken bleiben, das Leben kann aufblühen, Farben bekommen, manchmal gegen die graue Masse der Gesellschaft und manchmal gegen die verschleierten Zugänge zu Gott in der Kirche. Wir sind eingeladen, dort wo wir hingestellt wurden, Leben hineinzubringen. Denn uns wurde das Gesetz Gottes ins Herz geschrieben, damit Gott unser Gott ist und wir sein blühendes Volk.

Slawomir Dadas
Pfarrer