Gottessehnsucht gegen Todessehnsucht

„Wir sind also immer zuversichtlich, auch wenn wir wissen, dass wir fern vom Herrn in der Fremde leben, solange wir in diesem Leib zu Hause sind;denn als Glaubende gehen wir unseren Weg, nicht als Schauende. Weil wir aber zuversichtlich sind, ziehen wir es vor, aus dem Leib auszuwandern und daheim beim Herrn zu sein. Deswegen suchen wir unsere Ehre darin, ihm zu gefallen, ob wir daheim oder in der Fremde sind. Denn wir alle müssen vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder seinen Lohn empfängt für das Gute oder Böse, das er im irdischen Leben getan hat.“ (2 Kor 5,6-10)

 

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

Fast jeder Mensch erfährt im Laufe seines Lebens eine Todessehnsucht. Eine der ersten kommt sehr oft in der Pubertät. Wie es auf dieser Entwicklungsstufe üblich ist, fühlt man sich nicht verstanden und mit vielen Problemen allein gelassen. Da träumt in einer solchen Situation der eine oder die andere von der Möglichkeit zu sterben, um so den Problemen aus dem Weg zu gehen.

Hier und dort hängt die Todessehnsucht mit einer Lebenskrise zusammen. Wenn die bisherige Lebensordnung zerbricht, wenn es scheinbar nichts mehr zu retten und nichts mehr zu verlieren gibt, wenn Menschen keine Auswegmöglichkeit aus ihrer Not sehen, denken sie manchmal an den Tod, der zu ihnen als Erlöser kommen sollte.

Zum Glück ist der Sicherheitsmechanismus des Lebens bei den meisten so konstruiert, dass es bei der Sehnsucht bleibt. Gott sei Dank finden die meisten Wege zum inneren Frieden, der die Todessehnsucht vertreibt.

In den letzten Jahren haben wir aber oft von einer Art religiöser Todessehnsucht gehört und gelesen. Wir haben wahrgenommen, dass Menschen aus den Kreisen des politisch-fundamentalistischen Islams bereit sind, in den Tod zu gehen, um in der Geschichte als Märtyrer zu gelten. Das Versprechen des Himmels, der ewigen Freude im Reich des Allmächtigen erzeugt bei einigen Frauen und Männer das Gefühl, für die Glaubensideologie sterben zu wollen. Ich bin kein Islamexperte, um solche Verhaltensweisen richtig beurteilen zu können. Aus christlicher Sicht sind sie abzulehnen.

Heute haben wir einen Text aus dem Brief an die Korinther gehört, der die Spannung zwischen dem irdischen Leben und der Sehnsucht nach dem Leben mit Gott anspricht. Den Satz des Paulus „Wir ziehen es vor, aus dem Leib auszuwandern und Daheim beim Herrn zu sein“ könnte man als eine religiöse Todessehnsucht interpretieren. Da aber der Apostel nicht auf den Gedanken kommt, sein Leben zu beenden, kann man nicht von einer Todes-, sondern mehr von einer Gottessehnsucht sprechen, die ihm verhilft zu einer besonderen religiösen Haltung. Sie lässt ihn zuerst sich selbst als einen Fremden erfahren. Fremd, weil er noch nicht Daheim bei Gott ist, fremd, weil er immer wieder mit seinen Schwächen kämpfen muss, fremd, weil das irdische nicht göttlich ist. Weiters macht ihn die Gottessehnsucht freier: freier von Ängsten, weil er auf Gott gesetzt hat, freier von der Meinung der anderen, weil er nicht ihnen sondern Gott gefallen will, freier vom Gefühl hier alles erreichen zu müssen, weil er auf ein anderes Leben ausgerichtet ist.

Er wird von der Gottessehnsucht getrieben, die ihn zu einem außergewöhnlichen Menschen macht. Diese Gottessehnsucht verändert seine Wertehierarchie, in der Gott mit einem großen Abstand an der ersten Stelle steht.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

Die Todessehnsucht ist keine christliche Tugend. Das Leben ist uns von Gott geschenkt, als eine Zeit des Vorgeschmacks des Himmels aber auch der Erfahrung der Sünde und des Todes. Und daraus entsteht die Gottessehnsucht also der Vollendung der Dinge und des Lebens beim Schöpfer selbst. Ich wünsche uns allen, dass wir aus ihr unser Leben gestalten. Ich wünsche uns, dass wir auch in schwierigen Situationen nicht vor dem Leben davon laufen, sondern es ordnen: nach den Gesetzen Gottes, nach der Hierarchie, in der das Wesentliche am ersten und das Unwesentliche am letzten Platz steht.

Slawomir Dadas

Pfarrer