Der Erste – der Letzte

„Wo nämlich Eifersucht und Ehrgeiz herrschen, da gibt es Unordnung und böse Taten jeder Art. Doch die Weisheit von oben ist erstens heilig, sodann friedlich, freundlich, gehorsam, voll Erbarmen und reich an guten Früchten, sie ist unparteiisch, sie heuchelt nicht. Wo Frieden herrscht, wird (von Gott) für die Menschen, die Frieden stiften, die Saat der Gerechtigkeit ausgestreut.“ (Jak 3, 16-18)

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

wenn jemand ehrgeizig ist, kann er zuerst positiv gesehen werden. Denn im Konkreten heißt das, dass ein solcher Mensch etwas erreichen möchte und dass er nicht selten hart dafür arbeiten muss. Die ehrgeizigen Kinder lernen für die Schule meistens mehr als die anderen, die ehrgeizigen Sportler trainieren noch dann, wenn alle anderen schon nach Hause gegangen sind und die ehrgeizigen Musiker üben bis spät in die Nacht. Das Talent reicht nicht aus, um an die Spitze zu kommen. Es braucht darüber hinaus noch den Ehrgeiz und die Bereitschaft zum Hart-Arbeiten, wenn jemand etwas Überdurchschnittliches erreichen will.

Trotzdem wird im Jakobusbrief der Ehrgeiz neben der Eifersucht als Ursache für Unordnung und böse Taten genannt. Sollte der Autor ein Problem damit haben, dass einige Menschen im Leben etwas erreichen wollen? Ist es unchristlich, ein „Streber“ zu sein, etwas mehr als die anderen zu wollen?

Gerade die letzte Frage führt uns zur Auflösung des Problems. Denn sowohl Ehrgeiz als auch Eifersucht sind Eigenschaften, die oft zu ungesunden Beziehungen führen. Der Ehrgeiz wird nicht selten unter dem Deckmantel des positiven Strebens auf Kosten der anderen gelebt. Er öffnet Wege zur politischen und wirtschaftlichen Karriere, wenn die Konkurrenz bekämpft und besiegt wird. Im Sport schreibt er die Schlagzeilen, wenn unerlaubte Mittel –wie Doping – im Spiel sind. Im schulischen oder beruflichen Alltag führt Ehrgeiz manchmal zum Mobbing, einer Haltung, die einen Mitstreiter erniedrigen und dadurch ausschalten sollte.

Der Jakobusbrief und das heutige Evangelium wollen uns auf dieses Problem innerhalb des Glaubens aufmerksam machen. Denn all das, was in der Welt möglicherweise für normal gehalten wird, soll nicht automatisch in die christliche Gemeinde – und schon gar nicht im Bezug auf das Heil – übertragen werden. Aber so wie Jesus bei seinen Jüngern, erlebt die Kirche bis in unsere Zeit den Kampf der Leidenschaften, der manchmal skurrile Formen annimmt. Wer ist der Frommste, wer der Sozialste, wer hat die Wahrheit, wer ist auf dem Irrweg? Streitfragen, die seit Jesus nicht aufgehört haben.

Jesu Antwort darauf ist zwar bekannt, aber nur selten umgesetzt worden: „Wer der erste sein will, soll der letzte von allen und der Diener aller sein“ (Mk 9,35b) und er soll im Bild eines hilflosen Kindes mich und den Vater sehen.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

wir, als eine christliche Gemeinde, sollen nicht nach den Gesetzen der Welt, der Wirtschaft und der Politik leben. Wir als Nachfolgerinnen und Nachfolger Christi sind dazu aufgerufen, die Leidenschaft nicht gegen andere zu verwenden. Unsere Aufgabe ist es, freundlich, unparteiisch und ohne Heuchelei zu einem Leben im Frieden beizutragen. Bei uns muss jede und jeder einen Platz finden können, ohne an Glaubensleistungen gemessen zu werden. Die Schwachen, die Notleidenden, alle, die Hilfe brauchen, sollen unsere Mitte sein. Eine christliche Gemeinschaft zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie nicht aus der Begierde lebt, besser als andere zu sein und nicht aus dem Wunsch heraus, mehr als die anderen erreichen zu wollen, sondern aus der Überzeugung, dass jede und jeder Einzelne von Gott reich beschenkt ist.

Der Glaube an Jesus, in dem Gott der Liebe sichtbar wurde, ist eine Antwort auf unsere Zeit, die den Menschen heute oft nur noch aufgrund seiner Leistung, seiner Jugend oder seines Reichtums schätzt. Der Glaube, der nicht zum Wettbewerb und nicht zum Wettkampf einlädt, sondern zur Sorge um die, die am Rande stehen und um die, die aus eigener Kraft das Leben nicht bewältigen können, ist unsere christliche Aufgabe. Ich wünsche uns allen, dass es uns gelingt, den Menschen vorzuleben, dass wir den Weg Jesu gehen. Ich wünsche uns, dass wir dazu beitragen, dass die Kirche nicht als ein Ort des Kampfes um die ersten Plätze erfahrbar wird, sondern als ein Ort, in dem alle gleichwertig ihre Talente und Begabungen zum Aufbau der Gemeinde und im Dienst des Heils einbringen können.

Slawomir Dadas
Pfarrer