Fundamentalismus – Traditionalismus – Integralismus
Alle drei Begriffe sind untrennbar mit der Freiheit verbunden. Ein Ausflug am 4. Besinnungsabend in die Entwicklungspsychologie zeigte, wie Menschen zur Freiheit gelangen. Nach Erich Fromm sind dazu 3 Schritte nötig:
Verwurzelung: entsteht durch primäre Bindung (Mutter, Eltern, Familie …)
Lösung aus den primären Bindungen: sind nötig, um sich selbst als Individuum zu erfahren; ist begleitet von der Angst und der Unsicherheit vor der Freiheit; kann ich bestehen?
Neuorientierung: das Leben in die eigenen Hände nehmen; geschieht in der Spannung zwischen der Vergangenheit und der Zukunft.
Die Entwicklung zur Freiheit bedeutet nicht die ständige Veränderung, sondern die Willenskraft, über das eigene Leben zu verfügen. Freiheit findet verschiedene Ausdrucksformen, z. B.:
- Kräfte mobilisieren, um ein Ziel zu erreichen
- Mut zur Korrektur auf untergeordnete Ziele (Mittel und Wege können sich verändern, nicht das Ziel selbst)
- Eine Verabsolutierung von Einzelwerten ist ein Ausdruck von Fanatismus
Wege im Umgang mit der Freiheit
- Statische Anpassung: der Mensch passt sich an seine Umwelt an, verändert sich aber nicht als Person
- Dynamische Anpassung: dabei gibt man sich als Person auf und unterwirft sich – erzeugt Aggressionen, Einsamkeit.
- Fluchtmechanismen sind
– Flucht ins Autoritäre: wer selber nicht stabil ist, ordnet sich jemandem bewusst unter; sucht jemand, zu dem er aufschauen kann
– Flucht ins Destruktive: wenn die Entfaltungsmöglichkeiten in der Entwicklungsphase des Menschen beschnitten wurden, reagiert er mit Aggressivität gegen sich selbst und andere
– Flucht ins Konformistische: bedeutet Angleichung wider die eigene Identität; Selbstaufgabe; nicht auffallen;
Auf der Suche nach Glaubenssicherheit spielt die Freiheit eine wichtige Rolle. Denn es gibt ihn nicht, den einzigen, klaren Weg zur sicheren Erlösung – auch von Jesus her nicht. So entstehen Ideologien, die die gleichen Mechanismen wie alle anderen totalitären Systeme benützen; und die Ausgrenzung der anderen, um die eigene Position zu bewahren; schließlich die Schwarz-Weiß-Malerei, die die Guten und die Bösen klar voneinander trennt. Damit sollen die Mitglieder auch emotional ausschließlich an eine konkrete Gruppe gebunden werden.
Fundamentalismus
Begriff entstand aus dem protestantischen Bereich der amerikanischen Kirche als Abwehrbewegung gegen die Naturwissenschaften und gegen die moderne Welt. Aus der Angst, dass die menschliche Vorstellung vom Glauben zusammenbrechen könnte, baute man „Fundamente“. Diese werden absolut gesetzt und geben Sicherheit und Halt. Der Mensch wird von der Freiheit nicht mehr überfordert, er muss nicht mehr selber denken, sondern lediglich auf die Fundamente (die sich ändern können!) bauen. Der Theologe M. H. Stenger spricht beim Fundamentalismus von einer „Flucht in die Gewissheit.“ Fundamentalisten grenzen sich von den anderen ab, sie lehnen die moderne Welt ab und haben ein kämpferisches Gottesbild.
Traditionalismus
ist die verengte Art des Fundamentalismus. In ihm werden lediglich kurze Ausschnitte zur Glaubenstradition gemacht. Als der wesentliche Begründer dieser Richtung ist Kardinal Lefebrve offen gegen das 2. Vat. Konzil aufgetreten. Er lehnte jegliche liturgische Neuerungen ab, weil er in ihnen die Gefahr sah, dass Menschen das Wesentliche des Glaubens aufgeben und sie aus ihrer religiösen Heimat vertrieben werden. Durch göttliche Phänomene (Marienerscheinungen, Privatoffenbarungen, Visionen …) bekommen die dem Traditionalismus zugrunde gelegten Ausschnitte ihre Bedeutung, die nach menschlichem Ermessen nicht widerrufen werden können. Der Traditionalismus äußert sich versteckt, z. B. in dem die Laien in den Weltdienst abgedrängt werden (weg vom Altar!) oder in der Angst vor allem Neuen. Menschen verzichten auf ihre Mündigkeit, traditionelle Werte sollen gerettet werden (nur Buben als Ministranten, Messe nur in lateinischer Sprache …). Traditionalisten bilden eine ernste Gefahr für viele Gläubige und kirchliche Bewegungen konservativer Art; sie diffamieren und zeigen „Fehlverhalten“ permanent auf und an.
Integralismus
ist ein religiöser Totalitarismus, der den Anspruch erhebt, alle Bereiche des privaten wie auch des öffentlichen Lebens dem Glauben und der kirchlichen Entscheidungsgewalt unter zu ordnen. Dabei wird das Bemühen, den Glauben mit der Entwicklung und mit dem Denken der jeweiligen Zeit in Verbindung zu bringen, als Modernismus abgelehnt. Integralismus im christlichen Leben bedeutet, dass die Kirche als Institution in alle Bereiche des Lebens hineinwirkt.
Auf der Suche nach Glaubenssicherheit spielt der Umgang mit der Freiheit eine wesentliche Rolle. Freiheit darf aber nicht als Beliebigkeit verstanden werden, sondern als die Ausrichtung des eigenen Lebens auf das Gute, das Wahre im Zusammenhang mit der Selbstbestimmung.
Fotos: Gabriele Eichberger