Auf die Probe gestellt

„Da stand ein Gesetzeslehrer auf, und um Jesus auf die Probe zu stellen, fragte er ihn: Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen? Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz? Was liest du dort? Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst. Jesus sagte zu ihm: Du hast richtig geantwortet. Handle danach und du wirst leben.“ (Lk 10, 25-28)

 

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie und in welchen Lebensbereichen Menschen unserer Zeit auf die Probe gestellt werden?

Der Durchschnittsbürger kann beim Erproben eines Menschen an die eheliche Treue denken. Es gibt doch genug Detektive, die Treuetests durchführen und vom Beschatten und Bespitzeln leben. Bereits vor zwanzig Jahren wurde der Film „Ein unmoralisches Angebot gezeigt“, in dem das Glück eines jungen Paares zerfällt, weil es im gegenseitigen Einvernehmen die Treue aufs Spiel setzt, um schnell eine Million Dollar zu verdienen.

Ein anderer Bereich, wo Menschen in ihrem Verhalten erprobt werden, ist die Arbeitswelt. Hier und dort werden Fallen aufgestellt, um die Ehrlichkeit und die Arbeitsmoral der Angestellten zu prüfen. Die versteckten Kameras sollen Beweise liefern, ob die Mitarbeiter entsprechend der Erwartungen und Abmachungen Leistungen bringen?

Die Kinder und die Jugendlichen werden nicht selten im Bezug auf die materiellen Dinge auf die Probe gestellt. Halten sie es aus, wenn sie nicht die modernsten und neuesten Verführungen des Marktes besitzen? Oder setzten sie all ihre Mitleidstricks und Verführungskünste ein, um das eine und das andere zu bekommen?

Im heutigen Evangelium haben wir gehört, dass ein Gesetzeslehrer Jesus auf die Probe gestellt hatte. Es ist eine außergewöhnliche Probe. Es geht bei ihr nicht um die Reichtümer dieser Welt und nicht um die Macht. Der Gelehrte will wissen, wie Jesus den Glauben versteht, er will prüfen, ob die Lehre Jesu dem von den Vätern überlieferten Gesetz entspricht.

Er wird überrascht und herausgefordert und selbst auf die Probe gestellt. Denn nicht nur, dass Jesus sich zu dem wichtigsten Gebot der Juden bekennt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst“ (Lk 10, 27), sondern er weitet auch den Begriff des Nächsten aus. Der Nächste ist für ihn jeder Mensch, der Hilfe braucht, unabhängig von der Nationalität, von der Religion, von der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft.

Für Jesus war eine solche Frage keine besondere Prüfung. Die Gebote Gottes betrachtete er nie als etwas Fremdes, Fernes, Aufgesetztes. Er trug sie in seinem Herzen und auf seinem Mund, er lebte aus ihnen und für sie.

Und jetzt möchte ich Sie auf die Probe stellen und Ihnen eine ähnliche Frage stellen wie der Gesetzeslehrer.

Was tun Sie, um das ewige Leben zu gewinnen? Leben Sie nach dem Gesetz, das jedem Menschen ins Herz gelegt ist, das uns auf Gott und auf den Nächsten verweist?

Wenn man sich in der Gesellschaft umschaut, muss man leider feststellen, dass viele Menschen verschiedenen unmoralischen Angeboten der Zeit erlegen sind. Viele schütteten das Gebot Gottes in sich zu und laufen selbstgemachten Gesetzen und Regeln nach. Viele leben nicht mehr nach dem Doppelgebot der Gottes- und der Nächstenliebe, sondern im besten Fall nach dem Gebot der egoistischen Zuwendung zu sich selbst und zu einem kleinen Kreis der Gleichgesinnten. Dass damit das ewige Leben nicht zu gewinnen ist, lässt sich von der Bibel her sehr leicht begründen.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

es geht nicht darum zu schauen, was die anderen tun, sondern das eigene Leben auf Gott und auf den Nächsten auszurichten. Es geht darum, das göttliche Gesetz, die göttliche Stimme in mir zu entdecken und der Stimme zu folgen. Dann wird es keine Proben geben, die uns in unserem Glauben und in unserem Leben verunsichern könnten. Ich wünsche uns allen, dass wir die Liebe und die Nähe Gottes zu uns spüren und darauf mit unserer Liebe zu ihm und zu den Nächsten antworten.

Slawomir Dadas

Pfarrer