Tischsitten?

Ich denke, es gibt nur wenige Stellen im Evangelium, die so bekannt sind und die doch oft so falsch verstanden werden wie die eben gehörte, in der es vordergründig um die Rangordnung bei Festmählern geht und wie man damit umgehen soll..

Ich möchte darum einmal damit anfangen, zu sagen, was sie nicht bedeutet.

Im ersten Hinsehen klingt es wie ein Buch der Meister des „Guten Tons“ Knigge oder Elmayer. Aber niemand wird ernsthaft annehmen, dass es Jesus um die Etikette bei Festmählern gegangen ist. Wie wir wissen, hat er sich selbst um Etikette kaum gekümmert.

Der alte, unausrottbare Brauch, dass wir uns bei den Gottesdiensten in der Kirche um die hintersten Bänke drängeln müssen und die vorderen leer zu bleiben haben kann, auch wenn es immer noch so argumentiert wird, nicht aus dem Evangelium gelesen werden.

Ich bin auch überzeugt, dass Jesus mit der Demut, die er von uns fordert, nicht meint, dass wir uns klein machen müssen vor Gott. Ich weiß schon, dass ich mit dieser Ansicht im Gegensatz zu etlichen offiziell anerkannten Heiligen stehe und auch im Gegensatz dazu, was die Kirche hunderte Jahre gepredigt hat.

Zwischen Gott als meinem Schöpfer und mir als seinem Geschöpf liegt ein unendlicher Abstand.  Der wird nicht größer oder kleiner, wenn ich mich auch noch so in Nichtswürdigkeit hineinsteigere oder noch so aufplustere.

Aber wenn ich danach trachte, immer mehr zum Nichts zu werden, zum unwürdigsten aller Dinge, wo bleibt da die Würde, die Gott mir geschenkt hat, als er mich nach seinem Ebenbild geschaffen hat? Die Würde und der Wert aller Menschen, von der gerade das letzte Konzil so eindringlich spricht.

Demut kann nicht bedeuten, sich selbst abzuwerten bis zum Unerträglichen.

Damit kommen wir zu dem, was Jesus uns wirklich sagen will. Demut heißt durchaus, dass wir uns bewusst sein sollen, ja dass wir uns bewusst sein müssen, dass wir in den Augen Gottes etwas wert sind, dass wir als Menschen, als seine Geschöpfe, Würde haben. Demütig zu sein heißt, dass wir eben nicht Nichts sind, sondern dass wir ganz im Gegenteil wertvoll und würdevoll sind, weil wir von Gott geschaffen wurden.

Der Punkt ist, dass wir verstehen müssen, dass nicht nur wir selber ein Ebenbild, Tochter oder Sohn Gottes sind, sondern genau so auch alle anderen Menschen. Das Gegenüber unserer Demut ist nicht Gott, sondern es sind Gottes Geschöpfe, die Menschen

Alle Menschen, ganz egal, welchen Glauben sie haben oder ob sie überhaupt einen Glauben haben, ganz egal, ob sie reich oder arm sind, ganz egal, welcher Rasse sie angehören. Egal, ob sie erfolgreich oder Versager sind, egal, woher sie kommen und auch egal, wie sie ihr Leben gestalten.

Die wahre Demut sieht nicht die Rangunterschiede, die Stellung, das Geld. Sie erhebt sich nicht über andere.

Die wahre Demut weiß, dass die Würde und der Wert des Menschen durch Gott geschenkt ist, und dass das allen Menschen geschenkt ist. Natürlich gibt es in jeder Gemeinschaft Hierarchien, gibt es Unterschiede an Reichtum, an Ansehen, an Einfluss, an Verantwortung. Durch die Demut, aus dem Glauben verstanden, treten all diese Unterschiede in den Hintergrund, werden all diese Unterschiede bedeutungslos.

Vielleicht geht es ja doch um so etwas wie Tischsitten im übertragenen Sinn. Der Theologe Gerhard Lohfink hat darüber etwas geschrieben:

„Zu den Tischsitten der Gottesherrschaft gehört, dass es keine Klassen mehr gibt: alle sitzen um einen Tisch. Zu den Tischsitten der Gottesherrschaft gehört, dass jeder zuerst hinsieht, ob die anderen alles haben, was sie brauchen und dann erst an den eigenen Teller denken. Und zu den Tischsitten der Gottesherrschaft gehört, dass der Größte der Diener aller ist.“

Wer möcht nicht an so einem Tisch sitzen? Und wer hindert uns daran, diese Tischsitten der Gottesherrschaft schon heute zu leben?