„In jener Zeit kamen alle Zöllner und Sünder zu ihm, um ihn zu hören. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber und sagten: Er gibt sich mit Sündern ab und isst sogar mit ihnen. Da erzählte er ihnen ein Gleichnis und sagte: Wenn einer von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert, lässt er dann nicht die neunundneunzig in der Steppe zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? Und wenn er es gefunden hat, nimmt er es voll Freude auf die Schultern, und wenn er nach Hause kommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: Freut euch mit mir; ich habe mein Schaf wieder gefunden, das verloren war.“ (Lk 15,1-2)
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
jede und jeder von uns hat im Leben schon Entscheidungen getroffen, die nicht richtig waren, die Menschen verletzten, die sich gegen das Wohl anderer richteten und als Unrecht – oder im Glaubensleben als Sünde – bezeichnet werden. Haben Sie bei einem solchen Verhalten bereits Schuldgefühle gehabt? Hoffentlich ja. Ich hoffe, dass Sie wegen begangener Fehler die eine oder die andere Nacht hatten, in der Sie sich schlaflos hin- und her gewälzt haben. Ich hoffe, dass Sie manchmal das Kopf- und manchmal das Bauchweh im Griff hielt, nicht aus Angst vor einer Strafe, sondern um Ihnen bewusst zu machen, dass einiges noch nicht erledigt, nicht versöhnt ist. Wenn es nicht so wäre, müsste das eigene Gewissen in Frage gestellt werden. Aber ich hoffe, dass es so ist, und dass wir anders ticken als jene, die die eigene Schuld immer verharmlosen oder diese nur bei anderen suchen. Ich hoffe, dass wir noch nicht abgestumpft sind und spüren, wo in unserer Umgebung Unrecht geschieht, und wodurch wir selbst dazu beitragen.
Die Lesungen des heutigen Sonntags setzen sich mit der Schuld auseinander.
Zuerst ist auffallend, dass Mose sich auf die Seite der Schuldigen stellt. Er verhandelt mit Gott und versucht Gottes Zorn zu besänftigen. Es ist eine besondere Haltung. Sie macht uns bewusst, dass es nicht die Aufgabe eines Menschen ist, die Sünde des anderen zu beurteilen, sondern mit Gott zu reden, damit er Barmherzigkeit erweist. Jeder Mensch ist ein Teil der Geschichte der Abwendung von Gott, der Anbetung des goldenen Kalbs. Niemand kann sich aus ihr herausheben. Dadurch soll jedem das Heil aller am Herzen liegen. Die Sorge füreinander zu tragen, die Vergebung allen zu gönnen, ist die einzig richtige Haltung, die ein Mensch einnehmen kann.
Weiters sehen wir Paulus, der aus der Vergebung lebt. Er ist weder verbittert über seine Vergangenheit, noch prahlt er über seine Erwählung und Sendung. Er ist ein versöhnter, dankbarer Mensch. Er weiß sich geliebt, getragen, begleitet. Er hat richtig neu anfangen können, weil er sich seiner Schuld stellte und hat sie durch Gott heilen lassen. Das Alte ist für ihn keine Belastung mehr. Dass er so frei über seine Geschichte reden kann, entspringt der Überzeugung, dass niemand von der Sünde befreit ist und dass sie nur durch Gott besiegt werden kann.
Im Evangelium regt der Umgang Jesu mit den Sündern die Pharisäer und die Schriftgelehrten auf. Er meidet die schuldbeladenen Menschen nicht, sondern lässt sich von ihnen einladen, und wie es heißt: er isst sogar mit ihnen. Er erzählt von Gott, der den Verlorenen nicht droht, sondern ihnen nachgeht, sie sucht, damit sie wieder in Einheit mit ihm leben können. Der Gott Jesu Christi ist kein Gott der Vorwürfe und der langen Buße, sondern ein Gott der himmlischen Freude, wenn ein Sünder umkehrt.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
das unversöhnte Leben verändert einen Menschen. Wer mit der eigenen Schuld nicht umgehen kann, wer sie leugnet und aus dem Leben verbannt, der verbittert, wird kalt und hart, unsensibel für die Wünsche oder die Probleme der anderen. Wer unversöhnt lebt, kann auch mit den Schwächen und mit der Schuld der anderen nicht umgehen. Er verwendet sie dazu, selbst besser da zu stehen, er spielt sie aus, gebraucht sie, um von der eigenen Schuld abzulenken. Ich wünsche uns allen, dass wir unser Leben aus der Überzeugung gestalten, dass Gott ein Liebender und Verzeihender ist. Ich wünsche uns, dass wir die Sünde in der Welt nicht verharmlosen, sondern ihr mit Güte und Barmherzigkeit begegnen, die anderen Menschen helfen, den Weg zu Gott, dem einzigen Erlöser, zu finden.
Slawomir Dadas
Pfarrer