„Ihr seid von Gott geliebt, seid seine auserwählten Heiligen. Darum bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld! Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander, wenn einer dem andern etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht.“ (Kol 3,12-14)
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
die Familie erlebt in den letzten Jahrzehnten einen gewaltigen Wandel. Das in Europa durch Jahrhunderte idealisierte Bild der Familie von Vater, Mutter und mehreren Kinder ist in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts zusammengebrochen. Seit 1973 sind in Österreich die Kinder deutlich weniger geworden. Mit der Zeit wurden viele Ehen geschieden, was junge Menschen anscheinend verunsichert, sich zu binden; und endlich macht die Entscheidung für eine weitere Partnerschaft die Sache unter dem Begriff Patchwork-Familie noch ein wenig komplizierter für das Zusammenleben, für die Gestaltung der gemeinsamen Feste.
So kann man sich fragen, was das Fest der Heiligen Familie sein sollte: Ein Vorwurf an alle, denen das Leben in de rEhe nicht gelungen ist? Eine beschämende Erfahrung für die Kinder, dass ihre Eltern dem idealen Bild nicht entsprechen? Oder eine Stärkung und Belohnung aller, die sich in aller Liebe zusammenraufen und bis zu der silbernen, goldenen oder diamantenen Hochzeit miteinander aushalten. Wenn es so wäre, würde ich die Veränderung des Namens unserer Pfarre beantragen. Denn die Kirche, die moralisiert, die Menschen in ihren Lebensbrüchen und Nöten nicht zur Seite steht, sondern ihnen ein schlechtes Gewissen macht, wäre nicht die Kirche Jesu.
Was sollte also das Fest der Heiligen Familie? Wozu verpflichtet es uns, die diesen Namen tragen?
Um auf diese Fragen Antworten zu finden, möchte ich das Fest ein wenig von Weihnachten – von der Krippe und auch von der Flucht nach Ägypten – lösen; wissend, dass genau dies die Bilder sind, die im 17. Jahrhundert das Fest haben entstehen lassen. Ich möchte es an den Barmherzigen Vater binden und an die Worte Jesu: Wer den Willen meines himmlischen Vaters erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter. (Mt 12,50)
Mögen auch einige Feministinnen ein Problem mit dem Begriff Gott-Vater haben, so ist er trotzdem entscheidend, um aus der biblischen Tradition heraus Menschen die an Gott glauben, als eine große Familie Gottes nennen zu können. Denn im Alten Testament war der Vater der Älteste des Hauses, zu dem nicht nur die Blutsverwandten gehörten, sondern auch die Diener, die Sklaven, alle, die unter seinem Dach Zuflucht fanden. Der Vater, ausgestattet mit der uneingeschränkten Autorität, erfüllte auch die Funktionen des Priesters, des Lehrers, des Versorgers und des Beistands der Armen. So war die Familie als Gemeinschaft der Menschen zu verstehen, die zu einem Vater gehörten.
Wie Gott als Vater zu sehen ist und wie er seine Familie ordnet, zeigt uns Jesus im Gleichnis vom Barmherzigen Vater. Er will, dass es allen gut geht, denen, die ständig bei ihm sind und denen, die glauben, die Welt auf eigene Faust entdecken zu müssen. Seine Tür ist immer offen, gerade für Menschen mit Lebensbrüchen. Die werden von ihm mit offenen Armen empfangen, weil sie in ihrer Situation mehr Zuwendung brauchen, als die, die nicht viel zu beklagen haben.
Die Heilige Familie sind also Menschen, die zum Haus dieses Vaters gehören. Menschen wie wir; einige mit mehr Brüchen, die anderen mit weniger; ganz verschiedene Menschen, mit verschiedenen Lebensentwürfen, unterschiedlichen Lebensplänen. Aber Menschen, die sich auf seine Botschaft einlassen, die seinen Willen suchen und danach handeln.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
wir sind die heilige Familie Gottes, Kinder des einen Vaters, Schwestern und Brüder Jesu Christi und untereinander. Wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott an uns denkt und sich um uns sorgt, egal ob wir gerade bei ihm sind, oder die Welt weit weg von ihm erkunden.
Als Pfarre mit dem Namen Heilige Familie sollen wir uns dazu verpflichtet fühlen, ein offenes Haus zu sein, geleitet von Gott, dem Barmherzigen Vater. Ich wünsche uns allen, dass es uns gelingt, Zeuginnen und Zeugen der Liebe Gottes und seiner Fürsorge zu sein. Ich wünsche uns, dass wir uns auch miteinander verbunden fühlen, nicht weil wir blutverwandt, sondern weil wir gottverwandt sind.
Slawomir Dadas
Pfarrer