Was wir da von Jesus hören, das befremdet uns zuerst einmal. Wir kennen ihn als den, der die Menschen liebt, als den Menschenfreund schlechthin, der für sie sogar den Tod auf sich nimmt. Hier handelt er ganz sonderbar.
Die Frau, die sich verzweifelt an ihn wendet weil ihre Tochter schwer krank ist, die ignoriert er zuerst einfach, und dann bezeichnet er sie auch noch als Hund. Ich habe in vielen Bibelkommentaren nachgelesen. Einige versuchen, das kleinzureden. Da stand zum Beispiel einmal, es würde nicht Hunde sondern Hündlein heißen. Abgesehen davon, dass das nicht stimmt würde es auch nichts besser machen.
Hunde – das war eine ganz bewusst abwertend gemeinte Bezeichnung, die die Juden für die Nicht-Juden, für die Heiden hatten. Jesus verwendet dieses Schimpfwort der heidnischen Frau gegenüber genau so niedrig und verächtlich machend, wie es klingt.
Dann habe ich mich wieder einmal an dieses spannende Buch von Wilhelm Bruners erinnert. Das Buch hat den Titel: „Wie Jesus den Glauben lernte“. Wie er lernte, nicht, wie er lehrte. Eine auf den ersten Blick abenteuerliche Aussage. Jesus, der absolute Lehrer, Jesus, der Gott ist, soll ein Lernender sein? Aber es gibt durchaus ein paar Hinweise, die für diese Theorie sprechen.
Über die Kindheit und Jugend von Jesus wissen wir praktisch nichts. Er wird bei seinen Eltern Lesen und Schreiben gelernt haben. Er wird in der Zimmermannsarbeit unterwiesen worden sein. Und er wird wohl eine Einführung in die jüdische Religion bekommen haben. Sein Ausflug in den Tempel, bei dem er als Zwölfjähriger die Schriftgelehrten mit seinen klugen Fragen erstaunt – na gut. Das Thema hat ihn eben interessiert und Zwölfjährige stellen oft schon sehr gescheite Fragen.
Dann hören wir von Jesus erst wieder, als er mit Johannes zusammentrifft und sich von ihm taufen lässt. Wahrscheinlich ist er einige Zeit mit den Anhängern des Johannes herumgezogen. Nach seinen Eltern war also Johannes sein Lehrer. Im Hebräerbrief lesen wir: „ obwohl er Sohn war hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt“. Und im Hochgebet heißt es, er sei „in allem uns gleich, außer der Sünde.“ Und wir Menschen lernen das ganze Leben, von der Geburt bis zum Tod. Jesus ist Gott, das bezweifeln wir nicht. Aber der Schluss ist zulässig: als der Mensch, der er auch war, konnte und musste auch er lernen.
Und so kommen wir zurück zu unserer Evangelienstelle. Hier, von dieser „Hündin“, von dieser lauten, lästigen heidnischen Frau, hat Jesus gelernt, dass er nicht nur für die Juden wirken muss, sondern für alle Menschen. Hier ist das Problem Juden – Nicht-Juden geklärt worden. Das Heil, das Jesus bringt, ist für alle Menschen. Keiner ist bevorzugt. Nicht die Juden als auserwähltes Volk, nicht die Christen im Allgemeinen und auch nicht die römischen Katholiken.
Wir alle gehören als Geschöpfe Gottes zu seiner Familie.
Wenn wir das Grauen, das zur Zeit im Irak, in Syrien, in Palästina oder in Afrika passiert – zynischerweise so oft unter Berufung auf diesen Gott, der alle Menschen liebt – wenn wir dieses Grauen auch nicht direkt beeinflussen können, so haben wir doch die Pflicht, hier, in unserer kleinen Welt darauf zu achten, dass der Geist Gottes lebendig bleibt.
Ganz egal, woran die Menschen glauben, ob an den einen Gott der Juden, den Christus verkündet und den auch Mohammed verkündet, oder ob sie Buddhisten sind oder Hindus, oder ob sie glauben, gar nichts glauben zu können:
all die Menschen sind zuerst unsere Schwestern und Brüder, alle sind Geschöpfe Gottes, so, wie wir.