Ist das Kreuz wirklich noch ein Symbol meines Christseins? Lassen wir Christen dieses Symbol nicht zusehends verblassen?
Zwar begegnet uns das Zeichen des Kreuzes heute mehr als je zuvor in der Christengeschichte. Wir haben es auf Türme und Berggipfel hingestellt. In vielen Wohnungen, Häusern, Schulen, Krankenhäusern hängt noch immer ein Kreuz. Das Kreuz als christliches Symbol – viele Menschen tragen heutzutage ein Kreuz. Die einen bewusster, andere weniger bewusst. Wir leben im Zeichen des Kreuzes.
Aber was heißt im Zeichen des Kreuzes zu leben?
Im Zeichen des Kreuzes zu leben meint gewiss nicht, Leid statt Freude zu suchen, der Schmerz statt Wohlgefühl zu wählen; denn auch Jesus hat nicht den Tod gesucht, er wurde ihm aufgezwungen. Im Zeichen des Kreuzes zu leben heißt auch nicht, Schmerz und Leid, Not und Tod zu glorifizieren. Damit ist niemandem geholfen.
Aber sicherlich heißt es, die Härte eines unausweichlichen Kreuzes auszuhalten, seine Brutalität nicht zu verleugnen oder zu verdrängen, wozu uns ja die alltäglichen Bilder des Leides, von Menschen die leiden, nur allzu leicht verführen.
Christ sein im Zeichen des Kreuzes bedeutet dann, das Vertrauen zu haben, dass Gott in unser Leid mit eintritt, unser Leid mit uns trägt, es mit uns durchlebt und durchleidet; dass er am Tiefpunkt allen Leides noch immer bei uns ist. Deshalb ist das Kreuz nicht Symbol des Todes, sondern des Lebens, Symbol des leidvollen Hindurch, der schmerzhaften Verwandlung zu einer neuen Gestalt des Lebens.
Als Christ im Zeichen des Kreuzes zu leben, Jesus im Zeichen des Kreuzes zu folgen, fordert, das „gewöhnliche“, „normale“ Kreuz zu tragen; das Kreuz des Alltags also, das so viele Namen hat: Alleinsein, Trennung, erkaltete Liebe des Partners und verlorene Freundschaft, beruflicher Misserfolg, depressive Verstimmung und Sorge um die Kinder und die Familie, eine schleichende Krankheit usw.
Kreuz – das schließt auch das fremde Kreuz mit ein, nicht nur das meiner Familie, meines Nachbarn, sondern auch das Kreuz in der Welt wie Armut und Sucht, Krieg, Machtmissbrauch usw. Es schließt auch das Kreuz unserer Kirche ein; ihr eigenes Abweichen vom Evangelium, das Verkennen ihrer guten Absichten, das Desinteresse an ihrer Botschaft in unserer Gesellschaft. Wirkliche Kreuzesnachfolge lässt mich das eigene wie das fremde Kreuz annehmen in der wachsenden Hoffnung, dass auch daraus Segen hervorgehen kann.
Menschen brauchen Zeichen, Symbole, die ihrem Leben Sinn geben. Christen haben das Zeichen des Kreuzes als ein ermutigendes Zeichen, nicht aufzugeben, nicht resignieren angesichts dessen, was da alles unser Leben durchkreuzt. Für fast jeden Menschen gibt es Kreuz und Leid. Die Kraft, es tragen zu können, kommt vom Blick auf den Gekreuzigten und erhöhten Herrn. Eine mittelalterliche Legende, die Sie vielleicht kennen erzählt:
Einmal beklagte sich ein Mensch bei Gott über sein schweres Kreuz. Gott führte ihn in einen Raum, wo alle Kreuze der Menschen aufgestellt waren, und sagte ihm: „Wähle!“, du kannst dein Kreuz austauschen. Der Mensch suchte und probierte. Da sah er ein ganz dünnes Kreuz, aber dafür war es länger und größer. Er sah ein ganz kleines Kreuz, aber als er es aufheben wollte, war es schwer wie Blei.
So hatte jedes Kreuz etwas Unangenehmes.
Und als er alle Kreuze durchgesehen hatte, hatte er immer noch nichts Passendes gefunden. Dann entdeckte er eins, das hatte er übersehen, so versteckt stand es: Das war nicht zu schwer, nicht zu leicht – wie geschaffen für ihn. Dieses Kreuz wollte er in Zukunft tragen. Als er aber näher hinschaute, da merkte er, dass es sein eigenes Kreuz war, das Kreuz, das er bisher getragen hatte.
Kaplan Niko Tomic