Ich bin 1946 zur Welt gekommen. Damals war es für Eltern schwierig, ihren Kindern ein Geschenk zu machen. In den Geschäften gab es nichts, und wenn doch, dann hatte kaum jemand das Geld, es zu kaufen. So war Eigeninitiative gefragt.
Ich bekam einmal zu Weihnachten – ich war so gut zwei oder drei Jahre alt, einen Lastwagen. Einen wunderschönen großen Lastwagen, mit Führerhaus und Ladefläche, einen Kipper. Selbst gebaut von meinem Vater, wahrscheinlich aus irgendwelchen Holzabfällen und bemalt mit Lackresten. Ich war selig.
Jahre später habe ich von meinem Vater erfahren, dass ich ihn zu früh entdeckt hatte. Der LKW war noch nicht fertig. Das Lenkrad fehlte noch und die hintere Bordwand ließ sich nicht ausklappen. Das wollte er noch alles machen und dann erst wäre es DAS Geschenk gewesen.
Für mich spielte das keine Rolle. Wirklich lenken ließ sich das Ding ohnehin nicht, und statt kippen drehte ich den ganzen Wagen einfach um.
Eines Tages war der schöne Lastwagen weg. Mein Vater wollte ihn unbedingt zu Ende bauen, wollte ihn vollenden. Mir wurde erzählt, dass ich furchtbar verzweifelt war und geweint habe.
Dabei wollte mir mein Vater ganz sicher nicht weh tun. Er wollte mir nur die in seinen Augen noch unfertige Sache aus der Hand nehmen und fertig stellen.
Dass das im Rohzustand schon so lieb Gewordene am Ende noch viel schöner wird, auch wenn man es dazu noch einmal aus der Hand geben muss, loslassen muss, das kann ein Kind nicht verstehen.
Genau so schwierig ist es für uns zu verstehen, bei all unserem Nachdenken, bei all unserem Überlegen: warum müssen wir dieses Leben, das uns so lieb geworden ist, noch einmal hergeben. Warum werden uns unsere Lieben genommen, warum müssen wir die, die uns so lieb geworden sind zurücklassen. Wir hören in der Bibel von der Fülle des Lebens und vom Leben in Fülle, wir hören von der Vollendung und in unserem Verstand gibt das auch Sinn. Aber in unserem Herzen, da klammern wir uns wie das Kind an das liebgewordene Unfertige. Loszulassen fällt uns ungeheuer schwer.
Der Allerseelentag erinnert uns daran, dass unser Leben unfertig ist. Erinnert uns daran, dass es notwendig ist, dieses Leben, unser eigenes Leben und das Leben unserer Lieben, noch einmal aus der Hand zu geben, weil eben noch etwas fehlt.
Das ändert nichts daran, dass es Tränen gibt und Trauer. Es ändert nichts daran, dass wir nicht verstehen können.
Aber vielleicht können wir erahnen, dass es doch notwendig ist. Der körperliche Tod ist nicht eine Laune Gottes. Er kann uns nur so vollkommen machen.
Am heutigen Tag will uns Gott sagen: was auch geschieht, ich mache alles gut.