Vergeben?

rudi„Jesus sagte zu ihnen: Friede sei mit euch. Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Dann hauchte er sie an und sprach: Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert. Thomas, einer der Zwölf, war nicht unter ihnen.“
Beim Hören dieser Stelle bleibt automatisch die Szene mit dem sogenannten ungläubigen Thomas hängen. Dem Thomas, der gar nicht ungläubig ist – aber darüber haben wir schon öfter gesprochen. Heute geht es um etwas anders.

„Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.“
Ein Satz, der sonderbar wirkt in dem Zusammenhang, der gar nicht hierher passt.

Andererseits ein Satz, den wir alle kennen – ja klar: das ist die Einsetzung des Bußsakraments durch Christus. Im aktuellen Katechismus der katholischen Kirche steht wörtlich: Christus sprach zu seinen Aposteln: „Wem ihr die Sünden vergebt dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert“; und darum üben die Nachfolger der Apostel, die Bischöfe und deren Mitarbeiter diesen Dienst der Versöhnung weiter aus.

Jetzt können wir uns bequem zurücklehnen. Die Worte Christi sind nicht an uns gerichtet und gehen uns ersteinmal ja nicht direkt etwas an.

Aber es tut mir leid. Hier irren meiner Meinung nach der Katechismus und seine Verfasser.

Erinnern sie sich: der einzige Apostel, von dem die Rede ist, ist Thomas. Und von dem ist ausdrücklich bezeugt, dass er gar nicht da war.

Angesprochen hat Jesus nicht die Apostel, sondern die Jünger. Und die Jüngerinnen. Die Bibel hat leider noch nicht gegendert. Und das Vergeben ist daher auch kein Recht, keine Vollmacht, die Christus den Aposteln und ihren Nachfolgern übergibt.

Es ist ein Auftrag, eine Verpflichtung an die Jüngerinnen und Jünger. Und die Nachfolger dieser Jüngerinnen und Jünger sind nicht die Bischöfe, die natürlich auch, sondern das sind wir alle. Wir hier und alle Christen.

Christus sagt hier zu uns: wenn einer zu euch kommt, der an euch gesündigt hat, der euch unrecht getan hat,  dann habt ihr zwei Möglichkeiten: ihr könnt ihm vergeben. Dann gebt ihr den Frieden weiter, den ich euch zugesprochen habe. Oder ihr vergebt ihm nicht, auch wenn er oder sie darum bittet. Dann stoßt ihr ihn zurück in seine Schuld. Dann verhindert ihr, dass er seinen Frieden findet. Dann verhindert ihr, dass der Friede, den ich euch zuspreche, wirksam wird.

Kennen sie die Aussagen: „von dem will ich nichts mehr wissen“ ,“die will ich nie mehr sehen“ ,“mit dem will ich niemals mehr etwas zu tun haben“ ,“die ist für mich gestorben“? In irgendeiner Form hat wahrscheinlich jeder von uns schon so gesagt oder gedacht. Aber genau darum geht es. Vergeben, Verzeihen, Barmherzigkeit üben.

Wir haben es in der Hand, Menschen den Frieden wieder zu schenken; oder sie zurückzustoßen in ein Elend, in eine Schuld, die nicht vergeben wird. Ein Recht, von dem wir manchmal annehmen, dass es uns zusteht.

Aber so sind die Worte Christi nicht gemeint. „Wem ihr nicht vergebt, der bleibt in seiner Schuld“ Diese Worte sind eine Mahnung, eine sehr ernste Mahnung, ja Warnung. Sie sollen heißen: wenn ihr nicht vergebt, wer sollte es denn dann tun? Hört auf mit dem Vergelten, mit dem Ab- und Nachrechnen alter Fehler, alter Schuld. Fangt neu an, ganz von vorne, lasst das Alte ruhen. Das ist doch die Botschaft von Ostern, die Auferstehung, der Neuanfang.

Wenn wir versuchen, einander zu verstehen, uns in den anderen hineinzuversetzen, dann wird der Heilige Geist, den Christus uns hier geschenkt hat, wirksam. Er ist der Geist, der alles neu macht.

Nicht zu vergeben ist kein Angebot, keine Option, kann gar keine Möglichkeit für uns sein. So zu handeln hieße Trennung, Unfrieden zu verbreiten, hieße Unfrieden dauerhaft zu machen. So zu handeln hieße, die Einheit, die Gemeinschaft, die Jesus immer wieder beschworen hat zu schädigen, zu verletzen.

Aber wenn wir vergeben, wenn wir Frieden machen, dann wird die Wirklichkeit des Reiches Gottes unter uns spürbar.