„Weh den Hirten, die die Schafe meiner Weide zugrunde richten und zerstreuen – Spruch des Herrn. Darum – so spricht der Herr, der Gott Israels, über die Hirten, die mein Volk weiden: Ihr habt meine Schafe zerstreut und versprengt und habt euch nicht um sie gekümmert. Jetzt ziehe ich euch zur Rechenschaft wegen eurer bösen Taten – Spruch des Herrn. Ich selbst aber sammle den Rest meiner Schafe aus allen Ländern, wohin ich sie versprengt habe. Ich bringe sie zurück auf ihre Weide; sie sollen fruchtbar sein und sich vermehren.“ (Jer 23,1-3)
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
wissen Sie, dass das Leben der Pfarrer in den letzten Jahren immer besser geworden ist? Zwar haben wir, die es wollen, ein wenig mehr zu tun als die Kollegen vor 15 oder 20 Jahren, aber dafür werden wir ständig bemitleidet, weil wir so gestresst wären. Dadurch können wir uns mehr erlauben und deutlich mehr Fehler machen, weil diese auf die Überlastung zurückgeführt werden können. Und in dem Fall, dass wir gewisse Grenzen überschreiten und mehr auf uns selber schauen als auf die Gemeinde – dann haben Sie als Pfarrvolk sowieso keine Chance, etwas dagegen zu unternehmen. Denn es gibt schlicht und einfach zu wenig Pfarrerkandidaten, um sich gegen einen Pfarrer eine Beschwerde leisten zu können. Denn sollte einer abgezogen werden, dann findet sich möglicherweise kein anderer, der seine Stelle übernehmen könnte. So können wir Hirten uns selber weiden, und Sie – die Herde – müssen damit irgendwie zurecht kommen.
In der Bibel wird der Begriff Hirte vor allem auf die Führer des Volkes – die Könige – angewendet, daher könnte man diese Überlegungen auch auf die Verantwortlichen in der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Politik übertragen. Auch dort gibt es immer wieder Hirten, die nicht auf die Herde schauen, sondern sich selbst weiden. Auch dort werden nicht selten die verletzten, die schwachen Mitglieder der Herde übersehen und die vollen und satten zusätzlich gefüttert.
Die Worte des Propheten Jeremia, die sich gegen die Hirten des Volkes Israel gerichtet haben, können auch in die heutige Zeit übertragen werden. Denn es scheint, dass sich die Situation, von der Prophet spricht, immer wieder wiederholt. Sowohl in der Kirche wie auch im gesellschaftspolitischen Bereich gibt es Hirten, die die Nöte der Menschen nicht sehen wollen. Es gibt Hirten, die nur an der eigenen Karriere interessiert sind, Hirten, denen es nur noch um das Parteiprogramm geht oder solche, die ausschließlich an Bewahrung der Gesetze und Gebote interessiert sind. Ja, die Mächtigen verlieren manchmal das einfache Volk aus den Augen. In solchen Situation – damals und heute – gibt es die zweifache Zusage Gottes: Einerseits die Zusage, dass niemand, der seine Macht missbraucht hat, dem Gericht Gottes entkommen kann und andererseits, dass Gott zu den Schwachen und Ausgebeuteten steht und sie wie ein guter Hirte um sich sammelt.
Im heutigen Evangelium wird Jesus als einfühlsamer Hirte und als Vorbild für uns gezeigt. Zuerst merkt er, dass die Apostel im Verkündigungsstress stehen und sich selbst vernachlässigen. Da reagiert er schnell und fährt mit ihnen fort, um fern von dem Trubel wieder neue Kräfte zu tanken. Dann sieht er das das Volk, ohne Führung aber mit der Sehnsucht nach einem besseren Leben, nach Gerechtigkeit und nach Menschlichkeit, von denen er ständig predigte. Und er bleibt lange bei ihnen, spricht ihnen Mut zu, lehrt sie – sicher von Gott, der ihn gesandt hat, um die Schwachen zu stärken und sie mit Hoffnung zu erfüllen.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
ich kann Sie beruhigen. Ich habe nicht vor, mich ab Herbst mehr um mich als um das Gemeindeleben zu kümmern. Ich werde mich nicht zurücklehnen, damit Sie sich selber weiden und religiös versorgen. Ich will aber nur sagen, dass die biblischen Szenen des heutigen Sonntags an ihrer Aktualität nichts verloren haben. Sie machen uns Mut gerade in den Zeiten, in denen wir mutlos werden könnten, weil so viele führende Persönlichkeiten der Kirche und der Gesellschaft die Nöte der Menschen übersehen. Sie machen uns aber auch bewusst, dass Gott der einzige Hirte ist, der uns nicht vergisst, sondern uns stärkt und aufrichtet.
Ich wünsche uns allen, dass wir aus dem Glauben an Gott immer wieder Kraft zu neuen Wegen im Leben finden. Ich wünsche uns, dass wir aufmerksam werden wie Jesus, der den Ausgepowerten und Orientierungslosen zur Seite steht und ihnen von Gott erzählt, bei dem man Ruhe und Frieden finden kann.
Slawomir Dadas
Pfarrer