Wir sind schon eine eigenartige Gesellschaft: es zählen nur die Sieger bei uns. Für den Sieger interessieren sich alle, die Zeitungen und ihre Leser, das Fernsehen und die Fernseher, die Talkshows, die Sponsoren. Und weil wir selbst leider nicht immer Sieger sind, pachten wir die richtigen Sieger als Stellvertreter und identifizieren uns mit ihnen.
Für die Zweiten interessiert sich niemand.
Einen gibt es, der sich gerade um die scheinbaren Verliererinnen und die Verlierer in unserer Gesellschaft kümmert.
Jesus nennt gerade die, die keinen Sieg davontragen, selig.
Allerheiligen – eng verbunden mit Allerseelen. Wir gehen besuchen Friedhöfe. Der Blick geht in die Vergangenheit, Wunden, kaum verheilt, werden wieder aufgerissen, wir denken schmerzvoll, schwermütig, manchmal auch zornig und hadernd daran, wer im letzten Jahr wieder von uns gegangen ist. Der Tod wird uns bewusst.
So gut es auch ist, unserer Toten zu gedenken, so gut es auch ist, den Tod, auch unseren eigenen, einmal nicht zu verdrängen, so schade und so viel zu kurz gedacht ist es, diese beiden Tage ausschließlich damit zu besetzen.
Allerheiligen ist kein Fest der Trauer, kein Fest der Toten, Allerheiligen ist das Fest des Lebens, das Fest des geglückten und vollendeten Lebens.
Heilige sind nicht irgendwelche Gestalten, die mehr oder weniger Auffälliges vollbracht haben und die moralische Höhen erklommen haben, die uns sowieso unerreichbar scheinen. Heilige sind auch nicht, oder wenigstens nicht nur die, die von der Kirche offiziell heiliggesprochen wurden und werden.
Heilige sind Menschen, die dem Beispiel, den Worten und den Taten Jesu folgen oder sich bemühen, das zu tun. Heilige sind die, die ernsthaft versuchen, das, was sie von Jesus verstanden haben, in ihrem Leben umzusetzen und zu verwirklichen. Heilige sind die, die die Absicht, den Willen, den Geist Jesu weitertragen und für andere spürbar machen.
In der frühen Kirche war das Wort „Heilige“ einfach nur ein anderer Name für „Christen“! Und genau das ist es auch. Wir haben die Möglichkeit, mehr noch, wir haben den Auftrag, heilig zu sein, heilig zu werden. Das ist es, was Gott von uns und für uns will. Und er hat jedem von uns alles mitgegeben, das nötig ist, um dieses Ziel zu erreichen, um diesem Anspruch gerecht zu werden.
Jesus hat, wir wissen es, immer andere Maßstäbe. Er sagt schlicht und, ja, auch radikal, selig sind die, die sich nicht den irdischen Gütern ausgeliefert haben. Selig sind die Trauernden, die Gewaltlosen, die, die sich nach Gerechtigkeit sehnen, selig sind die Barmherzigen und die Friedenstifter. Nirgendwo verlangt Jesus Heroismus, herausragende Taten, besondere Leistungen, ganz im Gegenteil. Nicht die Lauten und Auffälligen sind es, die Jesus selig nennt, sondern die Stillen, die Kleinen, die Schwachen.
Alles, was Jesus da aufzählt kennen wir. Es sind Dinge, die uns täglich fordern, an denen wir zwar täglich scheitern, die wir aber immer und immer wieder angehen können. Auch das Scheitern gehört zum Menschen und erinnert uns daran, dass wir eben nicht vollkommen sind.
Das bloße Eingestehen, zu sehr am Geld zu hängen, missgünstig zu sein oder nichts gegen Streit zu tun genügt allerdings nicht. Mit jedem Bekenntnis, wieder einmal gefallen zu sein, muss auch der Wille verbunden sein, wieder aufzustehen.
Im Sinne Jesu sind also alle heilig, die ernsthaft versuchen, ihm nachzufolgen. Mahatma Gandhi, der große Achtung vor Jesus und seiner Lehre hatte, hat einmal gesagt: „der wahre Christ hat drei Eigenschaften. Er hat keine Angst, er ist immer in Schwierigkeiten, und er ist dennoch im Innersten glücklich“.
Ich wünsche uns, dass diese Definition möglichst bald auch auf uns zutreffen möge. Denn dann würden wir mit Recht zu denen gehören, die Jesus selig preist und wir würden zu den Heiligen gehören, deren Fest wir heute feiern.