„Als Jesus einmal dem Opferkasten gegenübersaß, sah er zu, wie die Leute Geld in den Kasten warten. Viele Reiche kamen und gaben viel. Da kam auch eine arme Witwe und warf zwei kleine Münzen hinein. Er rief seine Jünger zu sich und sagte: Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle andern. Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluss hergegeben; diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles gegeben, was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt.“ Mk 12,41-44
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
das Martinsfest gehört zu den Lieblingsfesten der Kinder. Es ist bemerkenswert, dass es einen so hohen Stellenwert hat obwohl es anders ist als Nikolaus, Weihnachten, Ostern oder Geburtstage, weil es ohne Geschenke gefeiert wird. Im Mittelpunkt dieses Tages stehen eine kleine Laterne, die Gegensätze Licht-und-Dunkel und eine Geschichte von einem starken, aber guten Mann, der etwas Außergewöhnliches macht. Auf den ersten Blick geht es um das Teilen und der Mantel ist ein Symbol dafür geworden. Auf der anderen Seite wissen wir aber, dass es beim Martin um eine Begegnung mit einer anschließenden Lebenswende geht. Denn die Geschichte mit dem Bettler war der Beginn seiner Geschichte mit Gott. Dort kam es zur Veränderung eines Lebens und er ließ sich taufen, nahm Abschied vom Kriegsdienst und begann, die Frohe Botschaft Jesu zu verkünden. Ab diesem Zeitpunkt begann er, sein Leben mit den anderen zu teilen. Und genau aus dem Grund ist er in die Geschichte eingegangen und genau aus dem Grund ist er mit der spendenden Witwe aus dem heutigen Evangelium vergleichbar.
Und weil Spenden zum guten Ton unserer Gesellschaft gehört, möchte ich Sie einladen, das Spendenverhalten in Österreich anschauen; einmal mit den Augen derer, die im Tempel beim Opferkasten saßen und für die nur die Höhe der Beträge etwas zählte und einmal mit den Augen Jesu, für den nur die Haltung der Spenderin wichtig war.
Aufgrund soziologischer Untersuchungen kann das Spendenverhalten der Österreicher folgendermaßen dargestellt werden: Es ist vom persönlichen Einkommen abhängig. Die religiöse Überzeugung spielt dabei kaum eine Rolle. Es spenden mehr Frauen als Männer, auf der anderen Seite spenden die Männer höhere Beträge als die Frauen. Je älter die Menschen sind, desto mehr spenden sie und die Menschen, die auf dem Land leben, spenden mehr als die städtische Bevölkerung. Die Menschen spenden je nach Bezug zum Thema: für Kinder, Tiere, Umwelt und wechseln immer wieder nach Bedarf und Stimmungslage. Die Statistiken können interessant sein, aber für einen religiösen Menschen haben sie keine Bedeutung. Wenn Jesus eine Spende beurteilt, dann macht er das aufgrund zweier Fragen: Ist mit ihr ein Stück des Lebens des Gebers mitgeflossen und entspringt sie der Haltung eines totalen Vertrauens auf Gott und seine Fürsorge, oder wird sie ausschließlich durchkalkuliert und dadurch nur aus reinem Überfluss gegeben?
Martin und die Witwe haben sich durch diese beiden Eigenschaften ausgezeichnet: sie haben ihr Leben mit den anderen geteilt im Vertrauen darauf, dass Gott für sie sorgen und sie beschützen wird. Genau zu dieser Haltung hat auch der Prophet Elija die Witwe eingeladen, die ihren Sohn verpflegen musste und sie wurde nicht enttäuscht.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
spenden, teilen, anderen etwas Gutes tun wird von Gott nicht automatisch als einen besondere Leistung betrachtet. Der, der nur aus seinem Überfluss gibt, der, der dadurch nur angeben oder sich zeigen will, kann vielleicht bei den Menschen aber sicher nicht bei Gott Anerkennung finden. Für Gott zählt die Haltung des Gebers. Wir können sicher sein, dass jede Gabe, mit der wir einen Teil unseres Lebens schenken, damit andere es besser, leichter und heller haben, auch von Gott wohlwollend angenommen wird. Wir können sicher sein, dass jede Gabe, mit der wir nicht kalkulieren, sondern das Vertrauen in Gottes Fügung zum Ausdruck bringen, sein Wohlgefallen findet.
Ich wünsche uns allen, dass die Gestalten des Heiligen Martins und der biblischen Witwe nicht nur zur Erziehung der Kinder dienen, sondern auch unser Leben verändern. Ich wünsche uns, dass wir selbst die Erfahrung machen, dass Gott uns beschützt und begleitet und dass wir aus dieser Erfahrung auch weiter geben können.
Slawomir Dadas Pfarrer