Gerecht und barmherzig

predigt dadas„Ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein; mach mich zu einem deiner Tagelöhner. Dann brach er auf und ging zu seinem Vater. Der Vater sah ihn schon von weitem kommen, und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Da sagte der Sohn: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein. Der Vater aber sagte zu seinen Knechten: Holt schnell das beste Gewand, und zieht es ihm an, steckt ihm einen Ring an die Hand, und zieht ihm Schuhe an. Bringt das Mastkalb her, und schlachtet es; wir wollen essen und fröhlich sein. Denn mein Sohn war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wieder gefunden worden. Und sie begannen, ein fröhliches Fest zu feiern.“ Lk 15,18-24

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
während des Jahres kommen immer wieder ehemalige Häftlinge mit der Bitte um soziale Unterstützung ins Pfarrbüro. Bereits im kurzen Gespräch mit ihnen stellt sich heraus, dass es für sie sehr schwierig ist, im normalen, bürgerlichen Leben wieder Fuß zu fassen. Bei sehr vielen scheitert der Neustart an der Möglichkeit, eine Arbeit zu finden, weil – sagen wir es vorsichtig – ein Ex-Knasti nicht das nötige Vertrauen in der Gesellschaft genießt, um mit gleichen Chancen wie alle anderen angestellt zu werden. Auch wenn jemand die ihm auferlegte Strafe abgebüßt hat, lebt er mit einem Stempel, der es ihm erschwert, alles bisherige hinter sich zu lassen und neu durchzustarten. Man kann mit solchen Menschen Mitleid haben, man kann sagen, sie sind selber schuld. Aber eins ist sicher: dieses Beispiel macht uns den großen Unterschied zwischen dem menschlichen und dem göttlichen Umgang mit der Schuld bewusst. Denn so sehr sich jede und jeder von uns danach sehnt, dass uns alles und ohne Vorbehalte vergeben wird, wenn wir schuldig geworden sind, ist es nicht immer leicht, den anderen vorbehaltlos zu verzeihen, wenn sie sich an uns schuldig gemacht haben. Und auch der Spruch: „Vergeben ja, Vergessen nein“, kann einerseits vor der Wiederholung des Unheils schützen, aber auch als eine ständige Erinnerungswaffe verwendet werden, die nie zulässt, die Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Die heutigen Lesungen zeigen uns den göttlichen Umgang mit der Schuld. Jesus hält Gemeinschaft mit den Sündern. Er begegnet ihnen ohne Überheblichkeit, ohne Verwürfe, sondern lässt sie an seinem Wort und an seinen Heilstaten Anteil haben. Auf den Vorwurf, dass er das tut, reagiert er mit der Geschichte vom Barmherzigen Vater, die das Verständnis der menschlichen Gerechtigkeit grenzenlos übersteigt. Denn ein durchschnittlicher Mensch würde vieleicht Mitleid mit dem Rückkehrer haben, aber nicht die Großzügigkeit, die der Vater an den Tag legt.

Ein durchschnittlicher Mensch kann eher den Bruder verstehen, der vor allem Gerechtigkeit verlangt. Der Vater, der bildlich für Gott steht, ist mehr als gerecht, er ist barmherzig. Er weiß, was er an seinem ersten Sohn hat, wenn er sagt, „mein Kind du bist immer bei mir, und alles was mein ist, ist dein“ und die Worte: „dein Bruder war tot und lebt wieder, er war verloren und ist wiedergefunden worden“ machen deutlich, dass ihm bewusst ist, was mit dem Jüngeren gewesen ist. Er beschönigt und relativiert nichts, und dadurch ist er in seinem Urteil gerecht. Er geht aber mit dem Menschen barmherzig um; und dieser Umgang übertrifft die menschliche Gerechtigkeit.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
im Brief an die Korinther wir auch uns zugesagt, dass uns die Verbindung mit Christus zu einer neuen Schöpfung macht und dass wir das Alte und das Vergangene nicht mehr wie ein Ex-Knasti mit uns herumschleppen müssen. Noch mehr, Gott hat uns nicht nur durch Christus versöhnt und die alten Verfehlungen nicht anrechnet, sondern uns zu Gesandten der Versöhnung an Christi Statt macht. Wir sind jetzt eingeladen, die Barmherzigkeit Gottes bewusst zu erfahren und daraus versöhnend in der Welt zu wirken.
Ich wünsche uns allen, dass wir in unserem Leben dem Neuen immer wieder eine Chance geben. Ich wünsche uns allen, dass wir im Urteil der eigenen und der fremden Taten immer gerecht sind, aber im Umgang mit den Menschen immer barmherzig.

Slawomir Dadas
Pfarrer