„Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Nun, was sagst du? Mit dieser Frage wollten sie ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu haben, ihn zu verklagen. Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf uns sagte zu ihnen; Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. Als sie seine Antwort gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus bleib allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand. Er richtete sich auf uns sagte zu ihr: Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt? Sie antwortete; Keiner, Herr. Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geht und sündige von jetzt an nicht mehr!“ Joh 8,5-11
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
Du bekommst keine zweite Chance! Ein solcher Satz klingt hart und unmenschlich und kann nur ein Ausdruck einer tiefen Enttäuschung sein. Denn in der Regel bekommt jeder Mensch im Leben mehrere Chancen. Ja, das Leben ist ein ständiger Neustart mit neuen Möglichkeiten. Unser Beziehungs- und Bildungssystem ist auf dem Prinzip des Neubeginns aufgebaut. Die Kindergartenkinder müssen ihre Pädagoginnen zurücklassen und werden zu Schulanfängern, nach vier Jahren nehmen die Volksschüler Abschied von ihren Lehrerinnen und beginnen einen neuen Bildungsabschnitt, der meistens auch nur ein paar Jahre dauert, um sich wieder neu zu orientieren und andere Bekanntschaften und Freundschaften zu schließen.
Aber auch in anderen Bereichen des Lebens gibt es Momente, wo es heißt etwas Neues zu beginnen, z.B. das Elternhaus zu verlassen und ein eigenes Zuhause zu gründen.
Viele von den Veränderungen, die sich in unserem Leben abspielen, passieren ungewollt. So ist es z.B. mit einer Neuorientierung und Neubeginn; manchmal nach einer zerbrochenen Beziehung, sicher nach einer schweren Krankheit, oder nach einem Todesfall. Gerade in solchen Fällen sind wir froh, wenn wir eine weitere Chance bekommen.
Du bekommst eine zweite Chance sagen uns die heutigen Lesungen. Du bekommst eine zweite Chance und dein Leben kann total neu werden. Die Zusage Gottes hast Du bereits, aber auch Du selber musst einiges dazu beitragen. Die Voraussetzungen dafür sind folgendermaßen formuliert: „Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, sollt ihr nicht achten“ (Jes 43,18), „Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist“ (Phil 3,13b). Wie oft träumen wir von einer guten Zukunft aber stecken noch sehr tief in der Vergangenheit. Wie oft reden wir davon, dass wir durchstarten möchten, aber grübeln in den alten Geschichten, die uns an längst verflogene Zeiten binden und uns keinen Schritt nach vorne machen lassen.
Wer richtig neu beginnen will, muss sich mit der eigenen Geschichte versöhnen. Die Versöhnung meint, die eigene Vergangenheit nicht durch die Brille der eigenen Vor- oder Nachteile zu sehen, sondern sie als Teil meiner Heilsgeschichte zu verstehen. Versöhnung mit der eigenen Geschichte meint, dass ich das Erfahrene, auch wenn es weh getan hat, als Weg des Reifens sehen kann, um den Menschen verständnisvoller zu begegnen. Es bedeutet, nicht nachtragend zu sein, es bedeutet loszulassen, um nicht nur sich selbst, sondern auch den anderen eine neue Chance zu ermöglichen. Weil das Leben eine ständige Entwicklung und von Abschieden geprägt ist, auf die man sich einstellen muss. Wer sich mit der eigenen Geschichte nicht versöhnt, der steckt fest in der Vergangenheit und kann nichts Neues wagen.
Und genau hier liegt der Mehrwert des Glaubens. Denn der Glaube ist darauf ausgerichtet, den Menschen von den Fesseln der Vergangenheit zu befreien und ihm eine Zukunft zu geben. Wir glauben daran, dass Gott niemanden abschreibt, niemandem eine neue Chance verweigert, aber auch niemandem die Last abnimmt, sich auf den Weg zu machen und die ersten Schritte zu tun.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
Du bekommst eine zweite Chance. Denk nicht an das Gewesene, schau nach vorne, wo Gott selbst Dir einen Weg durch die Steppe legt. Du bekommst eine zweite Chance, wenn Du nicht im Vergangenen sondern im Künftigen dein Glück suchst. Ich wünsche uns allen, dass wir das Angebot Gottes annehmen und neu durchstarten. Ich wünsche uns, dass wir frei werden von dem was bindet und uns dadurch im Weg steht, von Gott mit Neuen und Guten beschenkt zu werden.
Slawomir Dadas Pfarrer