„In jener Zeit kam Jesus in ein Dorf, und eine Frau namens Marta nahm ihn freundlich auf. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu. Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen, für ihn zu sorgen. Sie kam zu ihm und sagte: Herr, kümmerst es dich nicht, dass meine Schwester die ganze Arbeit mit allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen! Der Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden.“ Lk 10, 38-42
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
eine der besonderen Erfahrungen, die dazu beitragen, dass man einen Urlaub als gelungen bezeichnet, ist die Gastfreundschaft. Egal, ob im Ausland oder im Inland, wir fahren gerne wiederholt an solche Orte, an denen eine echte Willkommenskultur herrscht. Kein aufgesetztes Lächeln, kein Gefühl, dass mit dem Gast nur eine zusätzliche Arbeit verbunden ist, sondern eine echte Freude darüber, dass er da ist, und ein echtes Bemühen darum, dass er sich wohl fühlt, machen die Menschen eines Ortes zu perfekten Gastgebern. Dort, wo der Besucher sich ständig als lästig empfinden muss, weil jedem seiner Wünsche mit verdrehten Augen nachgegangen wird, dort fühlt sich niemand wohl und solche Orte werden auch nicht weiter empfohlen.
Auch wenn wir keine Hoteliers sind und Wels nicht zu den Touristenzentren Österreichs gehört, werden wir heute eingeladen, über unsere Haltung der Gastfreundschaft nachzudenken. Der Impuls dazu geht weder von der Wirtschaft noch von der Politik aus, sondern von der Bibel, in der die Gastfreundschaft eine wichtige Rolle spielt. Denn sie gehörte bei den nomadischen Völkern zu den Grundgesetzen. Ein Fremder, ein Wanderer, der durch das Land zog, war in der damaligen Zeit schutzlos und immer auf die Hilfe anderer angewiesen. So war es selbstverständlich, dass auch ein Fremder immer mit dem Wasser zur Erfrischung und mit dem Öl zur Pflege des Körpers rechnen konnte. Das Beherbergen einer Person bedeutet, ihr Sicherheit zu geben, ihr Leben in Schutz zu nehmen. Und dadurch hatte es etwas mit dem göttlichen Wunsch nach dem Schutz des Lebens zu tun. Auf diesem Hintergrund muss die Gastfreundschaft des Abrahams verstanden werden. Da Abraham aber deutlich über die Vorschriften hinaus gastfreundlich war und nicht nur Wasser und Öl angeboten, sondern die Fremden auch fürstlich mit Brot, Butter, Milch und Kalb bewirtet hatte, begegnete ihm in den Gästen Gott selbst, was mit einem reichen Segen verbunden war.
In dem Geist traditioneller Gastfreundschaft, aber auch der gewachsenen Freundschaft, wurde Jesus bei Maria und Martha aufgenommen. Der große Unterschied liegt aber hier in der Haltung der Begegnung dem Gast gegenüber. Martha erfüllt das Gesetz: sie kümmert sich darum, dass Jesus das Nötige zur Erfrischung und Erholung bekommt. Maria widmet sich ihm mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit, was zur Spannung zwischen den Schwestern führte. Die Antwort Jesu, die immer wieder auch besorgte und viel beschäftigte Frauen unserer Zeit aufregt, will uns auf das Wesentliche des Lebens aufmerksam machen. Nicht in der Erfüllung des Gesetzes liegt der Sinn des Lebens, sondern in der Haltung der wohlwollenden Zuwendung zum Menschen, in dem man Gott begegnen kann. Anders gesagt; wenn wir jemand aufnehmen, empfangen, bewirten, um Gesetze zu erfüllen, um keine schlechte Nachrede zu haben, um nicht als unfreundlich zu gelten, dann ist das weniger wert, als wenn jemand gastfreundlich ist, weil er sich dem Menschen zuwendet, weil er ihm Mut machen und helfen will, weil er durch die Begegnung sich selbst und den anderen bereichern will.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
auch wenn die Gastfreundschaft nicht als Gesetz in unserer Gesellschaft gilt, ist sie der Ausdruck einer besonderen Haltung. Sie spricht von einem offenen Herzen, von einem echten Interesse an der Lebenssituation des Menschen, von der Bereitschaft, sich auf andere einzulassen und an ihrem Leben teilzunehmen.
Der heutige Sonntag mit diesen Bibelstellen will uns auch dazu bewegen, nicht nur Gesetze zu erfüllen, sondern darauf zu achten, für welche Botschaft einzelne Gesetze stehen. Ich wünsche uns allen, dass es uns gelingt, möglichst viele Begegnungen mit den Menschen als Begegnungen mit Gott zu sehen. Ich wünsche uns, dass der Motor unseres Handels nicht die Erfüllung des Gesetzes ist, sondern die Botschaft Gottes, die immer darauf bedacht ist, im Dienst des Lebens zu stehen, um es zu schützen, zu entfalten und zur Vollendung zu führen.
Slawomir Dadas Pfarrer