„In jener Zeit, als Jesus die vielen Menschen sah, die ihm folgten, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Dann begann er zu reden und lehrte sie. Er sagte: Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden. Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein.“ (Mt 5,1-12a)
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
welche Bilder verbinden Sie mit dem Mittelmeer? Blauen Himmel, Sonne, Strand, ein paar sorgenfreie Urlaubstage, die Sie sich nach der schweren, stressigen Arbeit eines ganzen Jahres richtig verdient haben. Ein pures Leben.
Aber seit einiger Zeit wird dieses Bild ziemlich getrübt. In den letzten drei Jahren hat das Mittelmeer einen neuen Namen bekommen: Es wurde in der Presse eher als der Friedhof oder das Massengrab Europas als das Urlaubsparadies genannt. Tausende Menschen, die aus unterschiedlichsten Krisenregionen vor dem Tod flüchteten, kamen dort leider um. Niemand trauert um diese Menschen, weil ihre Angehörige nicht einmal wissen, was mit ihnen wirklich passiert ist. Die Stille, die sie verbindet, weil keine Nachrichten aus dem gelobten Land „Europa“ kommen, macht sie sicher manchmal traurig, aber lässt sie vielleicht auch hoffen.
Und welches Bild verbinden Sie mit dem Orient? Bunte Kleider, gastfreundliche Menschen, die Sie jeder Zeit zum Tee einladen, duftende Basare, handelnde Menschen. Pures Leben. Auch dieses Bild wird seit einigen Jahren getrübt. Der scheinbare Kampf gegen Extremisten und Kriegsverbrecher entwickelt sich zum politischen Kräftemessen zwischen den Amerikanern und den Russen und ihren Verbündeten. Tausende vertriebene, tausende missbrauchte, verachtete, traumatisierte Menschen.
Wie sich die Mächtigen der Welt – die Politiker und die Wirtschaftsleute der Industrienationen – dabei benehmen, entspricht dem von Papst Johannes Paul II geprägten Begriff „Zivilisation des Todes“. Er stellte bereits in den 90-er Jahren des vorigen Jahrhunderts klare Tendenzen zur Missachtung des Lebens Vieler auf Kosten der Sicherung des materiellen Reichtums Einiger fest. In unserer Zeit erleben wir diese Zivilisation des Todes hautnah. Wir erleben sie in den Zäunen, die Menschen vom Frieden fernhalten sollen, in ungerechten Gesetzen, die viele an die Grenze der Armut führen, in den politischen Reden, die uns weiß machen wollen, dass es zu wenig für alle gibt. Wir erleben sie fast überall, aber nicht hier am Friedhof. Und das ist ein Paradox. Wir stehen mitten unter unseren Toten, aber auch mitten unter der Zivilisation der Liebe und des Lebens. Denn all die Kreuze, all die geschmückten Gräber, all die vergossenen Tränen über die, die hier auf diesem Friedhof, aber auch über die, die tausende Kilometer weiter in Bosnien, Italien, Polen, Deutschland in Syrien oder auch anderswo begraben sind, sie alle sind ein Ausdruck der Liebe und im christlichen Glauben ein Ausdruck der Hoffnung auf ein Wiedersehen. Am Friedhof zählt nicht mehr die Gier, sondern nur noch die Ohnmacht und das Vertrauen in Gott, der alles zum Guten, alles zum Leben wenden kann.
Die Stille, die hier am Friedhof herrscht, ist eine andere als die des Mittelmeers. Sie ist eine Stille der Verbundenheit mit der anderen Seite des Lebens, in der wir manchmal die innere Stimme hören, die uns in unserer Überzeugung stärkt, dass es unseren Verstorbenen gut geht, dass sie im Licht sind und nicht in der Dunkelheit, dass sie jenseits der Grenze des Todes auch für uns beten und auf uns achten. Die Zivilisation des Lebens mitten unter den Toten: Dort, wo man nur noch von der Liebe, von der Vergebung, von der Sehnsucht nach der Vollendung spricht.
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Gerade der christliche Glaube, der Glaube an den Gott des Lebens und der barmherzigen Liebe, der uns hier versammelt, gibt uns Kraft und tröstet uns. Ich wünsche Ihnen die Erfahrung, dass Gott auch bei Ihnen vieles lebendig machen kann. Ich wünsche Ihnen, dass er Sie mit der Zusage des ewigen Lebens für alle, die sich zu ihm bekennen, tröstet und Mut macht, für das Leben einzutreten und am Leben fest zu halten.
Slawomir Dadas, Pfarrer