Nachdenken, beurteilen, Mund aufmachen

Zuerst einmal: Ich bin recht froh, dass ich über diese Evangelienstelle nicht letzte Woche, am Wahlsonntag, zu predigen hatte. Dieses Evangelium ist nämlich hochpolitisch und die Kirche soll sich doch angeblich aus der Politik heraushalten.

Im Vordergrund steht das Bemühen der Pharisäer, Jesus aufs Glatteis zu führen. Es gelingt ihnen nicht, obwohl sie es so gut vorgebracht haben. Er soll sich entscheiden zwischen dem Kaiser und Gott. Kein Ausweg in Sicht: entweder er gilt den Römern als Aufrührer oder den religiösen Führern als Glaubensleugner. Beides tot gefährlich im wahrsten Sinn des Wortes.

Jesus zeigt sich nicht als Politiker. Jesus windet sich nicht heraus mit irgendwelchen Floskeln, mit Leerformeln, wie es  Politiker gerne tun, Er zeigt auf, dass die Fragestellung falsch ist. Es geht nicht um Staat und Kaiser oder um Religion und Gott. Seine Antwort ist: gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist.

Auf das „und“ kommt es an. Es ist nicht notwendig, sich zwischen Gott und der Welt zu entscheiden. Zu Glauben heißt nicht, sich aus der Welt zurückzuziehen, sondern ganz im Gegenteil den Glauben in die Welt zu tragen und in der Welt zu leben. Mein Leben in der Gesellschaft und meine religiöse Überzeugung, mein Glaube an Gott müssen zusammenpassen, müssen ein Ganzes ergeben.

Als Christen haben wir vor Gott die Verantwortung für die Welt und die Verantwortung für die Mitmenschen. Das müssen wir ernst nehmen in all den Situationen und Funktionen in die uns unser Leben führt. Ein Rückzug in spirituelle, geschützte Biotope, wie er oft gehandhabt wird, ist keine Option für uns Christen. Das Christentum ist hochpolitisch und muss politisch sein, weil wir als Christen eben Verantwortung haben.

Das hat nichts mit Parteipolitik zu tun, aber es hat damit zu tun, dass wir als Christen die Programme der Parteien und die Aussagen der Politiker an unseren christlichen Maßstäben messen. Und dass wir den Mund aufmachen, wenn etwas schief läuft. Wenn es wieder gegen die ohnehin schon Armen gehen sollte, oder wenn generell und verallgemeinernd Stimmung gegen Migranten gemacht wird. Oder wenn die Prosperierende Wirtschaft als Allheilmittel gesehen wird, oder wenn wir wieder Stacheldrahtzäune um uns herum errichten oder, oder, oder…

Gebt Gott, was Gottes ist, das heißt konkret: nachdenken, beurteilen, Mund aufmachen! Klar, das fordert manchmal Mut, sich in einer Gruppe gegen die allgemeine Ansicht zu stellen, die von Massenmedien und Stammtischen geprägt wird.. Aber ich habe es schon oft erlebt, dass sich diese „allgemeine Ansicht“ gedreht hat, dass Menschen wieder zum Nachdenken kommen.

Es ist doch manchmal so, wie es im heutigen Evangelium endet: „Als sie das hörten waren sie sehr erstaunt“.

Jesus hat die Menschen oft zum Erstaunen gebracht. Manchmal könnten wir als Christen das auch zustande bringen.

Rudi Bittmann
Diakon