„Als er ihnen die Füße gewaschen, sein Gewand wieder angelegt und Platz genommen hatte, sagte er zu ihnen: Begreift ihr, was ich an euch getan habe? Ihr sagt zu mir Meister und Herr, und ihr nennt mich mit Recht so; denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.“ Joh 13, 12-15
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
laut Entwicklungspsychologie beginnt im zweiten Lebensjahr eines Menschen die Phase der Loslösung von den Eltern. Die Entwicklung der Sprache und der Motorik helfen dem Kind, sich besser auszudrücken, Wünsche zu formulieren und eigene Entdeckungstouren zu machen. Da nicht alle Wünsche erfüllt werden können und nicht alle Wege gut und sicher sind, gibt es dagegen den Widerstand der Eltern, was wiederum eine Trotzreaktion des Kindes verursacht. Weinen, Schreien, Herumschlagen sind die klassischen Äußerungen des Wunsches, den eigenen Willen durchzusetzen. Auch wenn sie oft negativ gedeutet werden, sind sie nichts anderes, als Versuche der Selbstbehauptung undder Standhaftigkeit in einem Interessenskonflikt.
Diese Trotz- oder anders gesagt – Autonomiephase dauert in der Regel so lange, bis das Kind imstande ist, seine Emotionen und negativen Gefühle besser zu beherrschen.
Für die Karwoche haben wir bei der Vorbereitung der Liturgie drei Themen ausgesucht, die mit dem Wort „trotz“ verbunden sind. Sie haben natürlich nichts mit der Trotzphase zu tun, aber sie deuten auf die Autonomie eines Menschen hin. Ich lade Sie heute dazu ein, über „Stand halten trotz Verrat“ mit mir nachzudenken.
Das Wort „Verrat“ wird oft im Zusammenhang mit Kindern verwendet. Beim Versteckspiel kann man jemand verraten, wenn jemand ein Geheimnis anvertraut wird, kann es verraten werden. Aber in den letzten Wochen ist das Thema auch auf der internationalen Ebene aufgeflackert. Die Medien sind voll von Informationen über den russischen Agenten Sergei Skripal, der bereits vor einigen Jahren des Hochverrats angeklagt und zu 13 Jahren Arbeitslager verurteilt wurde. Es war ein politischer Verrat, der die russischen Einflüsse im Westen Europas schwächen sollte.
Aber ist der Verrat nur im Bereich der Kinderspiele oder Geheimdienste zu suchen? Gibt es keinen Verrat im Alltag? Kann man sich selbst verraten, die eigenen Ideen vom Leben, die anderen Menschen, die uns anvertraut sind?
Das Leben Jesu war ein ständiger Kampf gegen den Verrat der Idee Gottes von einem Leben in Freiheit und Liebe, in Achtung vor dem anderen Menschen, in gegenseitiger Wertschätzung. Denn dort, wo sich einer gegen den anderen stellt, den anderen ausbeutet, auf Kosten der anderen lebt, bereits dort passiert der Hochverrat am Menschen. Dort wo ich mit der Masse schwimme, dort wo ich den Moden nachgebe, dort wo ich schweige obwohl ich reden sollte, bereits dort passiert nicht selten der Verrat an mir selbst, an meinen Prinzipien, an dem was ich für richtig und wichtig halte. Gerade in unserer Zeit werden sehr viele Menschen von mehr oder weniger öffentlichen Agenten verraten. Wo Menschen unverschuldet zu wenig zum Leben haben, wo Kinder vernachlässigt werden, wo Menschen unverschuldet aus ihrer Heimat flüchten müssen, wo ältere Personen vergessen werden, dort passiert mitten unter uns der Verrat an der Menschlichkeit.
Wir sind dazu aufgerufen, Stand zu halten trotz Verrat. Wir sind dazu eingeladen, den Teufelskreis des Verrats zu durchbrechen und wir tun es. Wir tun es, wenn wir einander dienen, wir tun es, wenn wir die Not der anderen sehen, wir tun es, wenn wir nicht emotionslos an unseren Mitmenschen vorbei gehen.
Stand halten trotz Verrat.
Gerade in einer Zeit, wo die Reichen immer reicher und die Schwachen immer schwächer werden, ist es ganz wichtig,Stand zu halten und sich am Verrat an der Menschlichkeit nicht zu beteiligen. Ich danke allen, die das bei uns in der Pfarre tun. Ich danke dem Sozialkreis, den Unterstützerinnen und Unterstützern des CTK-Kontos mit Aktionen und Spenden, ich danke den Caritas-Haussammlerinnen und -sammlern, denen die Kranke besuchen, den Firmlingen und ihren Begleiterinnen und Begleitern für die Kilo-Aktion, ich danke vielen stillen Helferinnen und Helfern, die in der Nachbarschaft aus purer Nächstenliebe dem Verrat trotzen und dadurch das Leben einiger Menschen lebenswerter machen.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
Christsein bedeutet in einer Trotzphase zu sein; in einer Trotzphase gegen den Verrat der Menschlichkeit, der Nächstenliebe. Christsein bedeutet, in einer Trotzphase gegen den Verrat der Idee Gottes vom Leben zu sein. Ich wünsche uns allen, dass es uns gelingt,standhaft zu bleiben, wenn unsere christlichen Werte gefragt werden. Ich wünsche uns, dass es uns gelingt, zur Botschaft Jesu so zu stehen, dass wir als echte Zeugen der Nächstenliebe erkannt werden können.
Slawomir Dadas Pfarrer