„Weh den Hirten, die die Schafe meiner Weide zugrunde richten und zerstreuen – Spruch des Herrn. Darum – so spricht der Herr, der Gott Israels, über die Hirten, die mein Volk weiden: Ihr habt meine Schafe zerstreut und versprengt und habt euch nicht um sie gekümmert. Jetzt ziehe ich euch zur Rechenschaft wegen eurer bösen Taten – Spruch des Herrn.
Ich selbst aber sammle den Rest meiner Schafe aus allen Ländern, wohin ich sie versprengt habe. Ich bringe sie zurück auf ihre Weide; sie sollen fruchtbar sein und sich vermehren. Ich werde für sie Hirten bestellen, die sie weiden, und sie werden sich nicht mehr fürchten und ängstigen und nicht mehr verloren gehen – Spruch des Herrn.“ Jer 23, 1-4
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
gerade jetzt im Sommer, beim Bereisen anderer Länder oder beim Wandern in den Bergen, begegnen wir Herden von Schafen und Kühen. Auf den ersten Blick sind die Tiere alleine unterwegs. Manchmal überqueren sie die Straße, so dass die Autofahrer stehen bleiben müssen, manchmal lagern sie auf den grünen Wiesen. Erst beim genauen Hinschauen findet man in ihrer Nähe einen oder zwei Menschen, die sich im Hintergrund aufhalten, entspannt im Schatten liegen oder hier und dort die Herde in eine konkrete Richtung treiben. Das Bild vermittelt uns eine gewisse Harmonie zwischen der Natur und dem Menschen, es vermittelt das Gefühl der Ordnung, die die Zufriedenheit aller garantiert. Hirte und Herde sind auf einander angewiesen, leben in einer Beziehung, die zwar nicht gleichberechtigt ist, aber dafür beiden Seiten ein leichteres Leben und Sicherheit ermöglicht.
Genau dieses Bild des Hirten und der Herde wird immer wieder in der Bibel im gesellschaftlichen und religiösen Kontext verwendet. Im Buch des Propheten Jeremia hören wir heute eine Drohung an die Könige des Volkes Israel, die sich wie schlechte Hirten benehmen. Sie tragen nicht dazu bei, dass das Volk gestärkt wird, dass es im Frieden und ohne Angst leben kann. Solche Hirten, die nicht einen, sondern zerstreuen, werden zur Rechenschaft gezogen.
Auf der anderen Seite wird das Bild im Evangelium im Bezug auf die Zuhörer Jesu angewendet. In der Darstellung des Evangelisten Markus gewinnen wir den Eindruck, dass es um Frauen, Männer und Kinder geht, die nach dem Lebenssinn suchen, die sich nach einer neuen Richtung sehnen, in einer Gesellschaft, in der vor allem die Starken und die Mächtigen im Mittelpunkt standen und die Armen und Schwachen an den Rand gedrängt wurden.
Jesus nimmt sich Zeit genau für diese Menschen, die suchen. Nicht die, die glauben, im Irdischen, im Vergänglichen, im Mächtigen dieser Welt bereits alles gefunden zu haben, sondern die, die suchen, sind seine ersten Ansprechpartner. Für sie will Jesus ein guter Hirte sein: einer der sie zu solchen Quellen führt, die ihren seelischen Durst stillen, einer der sie mit einer solchen Speise beschenkt, die ihren inneren Hunger beseitigt. Jesus weiß, dass genau die Menschen, auf dem richtigen Weg sind. Denn solange der Mensch sucht, ist er offen für die Begegnungen mit Gott, für Gottes Wirken in seinen Leben. Ein Suchender ist immer jemand, der offen ist, der Fragen stellt, der für sein Leben das Beste finden will. Genau für solche Menschen nimmt sich Jesus Zeit, weil er weiß, dass sie auch bereit sind, Gott im Leben zu entdecken und ihm zu folgen.
Seit einigen Jahren gibt es zumindest auf der gesellschaftspolitischen Bühne eine Anzahl von Ländern und Bewegungen, die sich nach einer starken und entscheidungsfreudigen Führung sehnen. Es gibt den Wunsch jemand zu haben, der eine klare Richtung vorgibt und den Menschen den Weg in eine sichere, friedliche Zukunft weist. Dass man dabei nicht selten auf einen falschen Messias setzt, zeigen uns die täglichen Nachrichten. Sehr oft werden die Völker erst im Nachhinein klug, aber in solchen Situationen ist der Schaden leider bereits angerichtet.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
sind Papst Franziskus, Kardinal Schönborn oder andere kirchliche Größen Hirten, die uns in das gelobte Land des religiösen Lebens führen? Ist ein Herr Trump, Putin, Macron oder Kurz ein gesellschaftspolitischer Messias, der den Menschen in Europa und auf der Welt Wege und Türen zu einem glücklichen und friedlichen Leben öffnet? Aus der heutigen Sicht wissen wir es nicht, aber wir haben ein paar Hinweise darauf, was einen guten Hirten ausmacht.
Ein Hirte ist immer jemand, der im Dienst des Besitzers steht, der sich nicht in den Vordergrund schiebt, sondern von der Seite auf das Wohl der Herde achtet. Ein Hirte hat die Aufgabe, die Bedürfnisse der Herde zu kennen und sich für sie einzusetzen, sie vor den Gefahren zu beschützen. Endlich ist ein Hirte jemand, der mit der Herde lebt; nicht neben ihr und nicht abgehoben.
Ich wünsche uns allen, dass wir immer nur solchen Hirten folgen, die im Dienst der Menschen stehen. Ich wünsche uns, dass auch wir immer wieder Hirtenaufgaben übernehmen, d.h. uns in den Dienst Gottes nehmen lassen zum Wohl seines Volkes.
Slawomir Dadas Pfarrer