Lilia begrüßt uns wie alle Tage mit einem Bari lujs (Guten Morgen!), Slawomir verwöhnt uns dazu täglich mit Kurzgeschichten, besinnlichen Gedanken und armenischen Märchen. Heute geht es zu der etwas nordöstlich von Dilijan gelegenen Klosteranlage von Haghartsin. Das letzte Stück gehen wir zu Fuß über eine steile Straße. Neben der großen Muttergotteskirche gibt es eine kleine Grigorkirche mit einem deutlich größeren Vorraum und vor allem ein prächtiges Refektorium. Wir treffen zuerst auf einen Seminaristen und dann auf einen Priester, der längere Zeit in Deutschland gewirkt hatte und gut Deutsch spricht. Die Restaurierung des ganzen Klosters wurde von einem arabischen Scheich finanziert, der sich damit bei seinem armenischen Finanzchef, der ihm viele Jahre gute Dienste geleistet hatte, bedankte. Im Refektorium, an dessen Stirnseite das Bild des derzeitigen Katholikos (des 132. in der Reihe), erkennbar an der Kapuze mit großem Kreuz, hängt, dürfen wir zum zweiten Mal Gottesdienst feiern. Abschließend gehen wir nochmals in die Muttergotteskirche, wo der Priester das Lied „Heiliger, unsterblicher Gott“ auf armenisch singt und uns den gemeinsamen Segen erteilt. Neben der Kirche haben sich die Reste eines angeblich aus dem 7. Jh. stammenden Nussbaumes erhalten. Er wurde durch eine fahrlässig abgestellte Kerze zerstört. Wem es gelingt, durch die schmale Öffnung zu kriechen und sich dabei etwas wünscht, darf auf die Erfüllung seines Wunsches hoffen.
In einer längeren Fahrt geht es dann wieder zurück nach Süden über Dilijan und den Selimpass nach Jerewan und zur westlich davon gelegenen Stadt Echmiatsin. Dabei passieren wir beim kurvigen Anstieg zum Tunnel wiederholt kleine Stände, wo Maiskolben geröstet und angeboten werden. Nach dem Tunnel wird bei einer modernen Raststation Halt gemacht und Mittag gehalten. Das meiste Intereresse erweckt jedoch ein Bäcker, der in einer artistischen Aktion den geformten Teig, von oben beginnend, an die Innenwand der runden heißen Öfen klatscht.
Wir machen dann bei einer unmittelbar neben der Straße befindlichen Gesteinshalde Halt und betätigen uns als Steinesucher. Es gibt hier jede Menge an Obsidian, ein natürlich vorkommendes schwarzes glänzendes vulkanisches Gesteinsglas, das durchscheinend, aber undurchsichtig ist. Slawomir stemmt den schwersten Brocken, kann sich jedoch nicht entschließen, ihn mitzunehmen. Er müsste sonst sein ganzes Gepäck in Armenien zurück lassen und noch dazu aufzahlen. Der Obsidian wird bei vielerlei körperlichen und auch seelischen Gebrechen als Heilstein angewendet.
In Echmiatsin besuchen wir als erstes die Kirche der hl. Hrisphsime (Surb Hrispsime), die als die charakteristischste Kirche Armeniens gilt, und eine Glockenturmvorhalle aufweist. In der Krypta befindet sich der Sarkophag der Heiligen. Wir kommen gerade zu zwei nacheinander folgenden Hochzeiten zurecht und bewundern die Bräute mit ihren Kleidern und langen Schleiern. Ähnlich gebaut ist auch die Kirche der heiligen Gajane, der geistigen Mutter von Hrisphsime, die hier den Märtyrertod erlitten haben soll. Wir kommen zur dritten Hochzeit zurecht. Als nächstes gehen wir durch ein gewaltiges modernes turmartiges Portal zur Kathedrale, neben der auch der Katholikos seine Residenz hat. Urspünglich hatte er seinen Sitz in Kilikien in der heutigen Türkei, wo auch heute noch ein zweiter Katholikos (ohne Kreuz an der Kapuze) die alte Tradition fortführt. Die Kathedrale, deren erster Bau auf das Jahr 303 zurückgeht, ist eine der wenigen im 17. u. 18. Jh. ausgemalten Kirchen Armeniens. Leider sehen wir nichts davon, da die Kirche zur Zeit außen und auch innen eingerüstet ist. Wir können nur einen kleinen Teil des Inneren besichtigen. Auf dem großen Areal befinden sich noch etliche moderne Gebäude, z. B. ein großer Altar für Gottesdienste im Freien, das Seminar, die Bibliothek der alten Handschriften und eine Taufkapelle, wo auch gerade eine Taufe stattfindet. Ein großes Denkmal erinnert an den Genocid von 1915. Daneben alte Kreuzsteine und auch große Repliken, deren Originale sich in der Türkei befinden. Etwas außerhalb liegt die turmartige Seminarkirche mit einem markanten Schirmdach. Wir besuchen dann die in der Nähe des Flugplatzes gelegenen Ruinen der kreisförmigen Palastkirche von Zvarthnots. Im 7. Jh. errichtet, wurde sie bereits 930 durch ein Erdbeben zerstört. Sie war den Engeln geweiht, die dem hl. Grigor im Traum erschienen sein sollen. Die eigentliche Christianisierung war durch ihn, „den Erleuchter“, erfolgt, als er um 300 den heidnischen König, der ihn viele Jahre in einer Grube gefangen hielt, von einer schweren Krankheit heilte und damit bekehren konnte. Es erwartet uns ein großartiges Quartett, das zuerst geistliche Musik und dann Volkslieder zu Gehör bringt.
Genächtigt wird wieder in Jerewan im Opera Suite Hotel. Einige gönnen sich noch einmal die großartigen Wasserspiele, die heute nach klassischen Ohrwürmern von Bizet, Beethoven, Händel und zuletzt dem Radetzkymarsch ablaufen. Andere erklommen die 556 Stufen der Kaskade, und wurden mit einen wunderbaren Blick auf´s nächtliche Jerewan belohnt.
Reisebericht: Hans und Magdalena Kalchmair Fotos: Slawomir Dadas, Ingrid Scherney