Nicht Gründe, sondern Wege suchen

Ich muss gestehen, dass ich nicht sehr wundergläubig bin. Sicher, Gott ist allmächtig, und daher könnte er natürlich jedes Wunder wirken. Aber mit materiell realen Wundern würde Gott seine Schöpfung stören, ja zerstören. Als technisch und logisch denkender Mensch weiß ich, dass jedes Geschehen im  Ablauf der Natur Folgen und Reaktionen hat. Vielleicht haben sie schon den Begriff „Schmetterlingseffekt“ gehört. Er besagt, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen kann. Ein Bild für das äußerst fragile Verhalten der Natur.

Jedes direkte Eingreifen Gottes zu Gunsten des einen würde also mit hoher Wahrscheinlichkeit Folgen zuungunsten eines anderen haben. Und das kann ich nicht glauben. Gott greift nicht in den Lauf der von ihm geschaffenen Naturgesetze ein. Darum bin ich überzeugt, dass die eigentliche Botschaft Jesu an uns in dieser Erzählung von der wunderbaren Brotvermehrung eine ganz andere ist.

Was ist geschehen? Viele Menschen wollten Jesus hören und jetzt wird es Abend und sie haben nichts zu essen. Jesus hat Mitleid mit ihnen. Das einfachste wäre jetzt, und so wird die Geschichte oft ausgelegt, er würde mit den Fingern schnippen und plötzlich ist genug Essen da für alle.

Aber Jesus tut das nicht, er sucht eine Lösung bei den Menschen, er fragt die Apostel. Philippus stellt gleich klar, dass da gar nichts geht. Nicht einmal mit 200 Denaren, immerhin etwa der Jahreslohn eines Arbeiters, könnte man so viel Brot kaufen, um auch nur jedem einen Bissen zu geben. Andreas weist auf einen kleinen Jungen hin, der seine fünf Brote und zwei Fische hergeben würde, sagt aber gleich dazu: ist ja lächerlich für die Menge von Leuten. Es sind viel zu viele, Das hat keinen Sinn, da braucht man gar nicht zu beginnen. Es ist einfach so: wer nicht will, der sucht Gründe. Und er wird sie, leider, auch recht leicht finden. Aber Jesus sagt: fangt trotzdem an. Fangt mit dem an, was ihr habt. Sucht nicht nach Gründen, warum es keinen Weg gibt. Beginnt einfach, macht euch auf den Weg und schon unterwegs werdet ihr ganz neue Lösungsmöglichkeiten finden. Beginnt einfach, und plötzlich wird das Unmögliche erreichbar.

Die Menschheit wäre nie aus den Höhlen herausgekommen, keine politische Weiterentwicklung wäre möglich gewesen, keine soziale Errungenschaft hätte es gegeben, wenn da nicht immer wieder Menschen gewesen wären, die sich nicht damit zufrieden gegeben haben, etwas als unmöglich, als sinnlos abzutun, die den Satz: „da kann ich sowieso nichts machen“ aus ihrem Sprachschatz gestrichen haben. Und auch in unserer Kirche wäre nie eine Reform möglich gewesen, wenn nicht immer wieder Menschen aus bloßem Gerede einen wirklichen Aufbruch gemacht hätten.

Zurück zum Evangelium. Die Jünger beginnen, das wenige, das der kleine Junge zur Verfügung gestellt hat, zu verteilen. Und dann passiert es. Die anderen aus der großen Menschenmenge wollen sich von dem kleinen Jungen nicht beschämen lassen. Sie geben auch. Und alle werden satt.

Es war doch ein Wunder. Aber die Wunder, die Gott wirkt, sind nicht irgendwelche Zaubereien. Die Wunder, die Gott wirkt, die wirkt er in uns, in unseren Herzen.

Wer nicht will, der sucht Gründe. Wer aber wirklich etwas will, der sucht Wege. Als Suchende auf diesen Wegen wird Gott uns nie allein lassen.

Rudolf Bittmann
Diakon