„In jener Zeit ging ein Schriftgelehrter zu Jesus hin und fragte ihn: Welches Gebot ist das erste von allen? Jesus antwortete: Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.“ Mk 12, 28b-31
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
wurden Sie in den letzten Jahren von jemand gefragt, was das Wichtigste im Leben ist? Haben Sie überhaupt die Erwartung, dass die Kinder die Eltern oder Enkel die Großeltern danach fragen? Oder meint die jüngere Generation, sowieso alles besser zu wissen und sich im Notfall bei Google darüber zu informieren, wodurch einem ein persönliches Gespräch erspart bleibt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich von jemand so direkt darauf angesprochen wurde. Ab und zu bei einem Beichtgespräch gibt es schon Fragen, die auf eine konkrete, wichtige Entscheidung zielen, aber sie beziehen sich nicht automatisch auf das Wesentliche und das Gesamte eines Lebens.
Was würden Sie sagen, wenn jemand von den wirklich Suchenden zu Ihnen kommen würde mit der Frage: Was ist das Erste und das Wichtigste im Leben? Würden Sie versuchen, darauf eine Antwort aus ihrer Lebenserfahrung zu formulieren, oder aus Ihrem Glauben heraus, oder vielleicht aus der Erwartung, die an die Menschen unserer Zeit gestellt werden?
Deutsche Soziologen, die verschiedene Beiträge von über vier Millionen Internetbenutzern untersucht haben, kamen zu einem Werte-Index-Ergebnis, in dem die Natur den ersten Platz belegt, dann die Gesundheit und Familie vor Sicherheit und Erfolg.
Mich erschrecken solche Antworten und noch mehr einige Kommentare dazu, die sich folgenderweise kurz zusammenfassen lassen: Die Menschen unserer Zeit wollen nicht unbedingt besser sein, sondern glücklicher, wobei das Glück einem subjektiven Gefühl, ohne Rücksicht auf die anderen entspricht. Natürlich sind die oben genannten Werte ganz wichtig für einen Menschen, aber wenn sie die ersten sind, dann sind wir bereits in einem ungesunden Egoismus gelandet. Denn bei dieser Untersuchung ist ganz klar geworden, dass sowohl die Natur, wie die Familie oder auch die Sicherheit so hoch im Ranking stehen, weil sie mir etwas bringen, aber nicht als ein Wert für sich.
Aber wie viel wert ein Wert tatsächlich ist, würde sich erst dann zeigen, wenn jemand bereit wäre nicht nur dafür zu leben, weil es ihm dient, sondern auch dafür zu sterben. Drum ist auch die Frage berechtigt: Gehören die Natur, die Gesundheit, die Familie, die Sicherheit und der Erfolg genau zu solchen Werten, für die wir alles andere hinten anstellen und im Ernstfall bereit sind, dafür zu sterben?
Die Lesungen des heutigen Sonntags machen uns bewusst, dass sich der Werte-Index sehr gewandelt hat und nicht automatisch zum Guten. Denn wenn etwas nur dann einen Wert hat, weil es mir dient, und mein Glücksgefühl erhöht, dann ist das Fundament unseres Zusammenlebens die Beliebigkeit und das Leben auf Kosten der anderen. Dann brauchen wir uns aber nicht zu wundern, dass in der Welt der Starke und der Reiche die Richtung vorgeben, weil sie die meisten Möglichkeiten haben, die Menschen unter Druck zu setzen. Dann brauchen wir uns nicht zu wundern, dass die Armen immer ärmer werden und die Bedürftigen sich selbst überlassen sind.
Genau um dem vorzubeugen, genau um davor die Menschen zu schützen, werden wir an das Erste der Bibel erinnert, und das ist die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten. Zu Gott, der uns zum Heil beruft, der den Frieden und den Wohlstand für alle verheißt, der unser Leben nach diesem Leben vollenden und zur Fülle führen will. Und zum Nächsten, der wie ich ein Kind Gottes ist, der wie ich die Sehnsucht hat, gleiche Entwicklungschancen zu bekommen, der ebenfalls wie ich davon träumt, wertgeschätzt und ernst genommen zu werden. die Liebe zu Gott und zum Nächsten als das Erste und Wichtigste unseres Lebens.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
ich weiß, dass die Natur, die Familie und die Gesundheit sehr wichtig im Leben sind. Sie stellen aber erst dann einen Wert dar, wenn sie nicht missbraucht und nicht ausschließlich als eine Zutat zu meinem eigenen Glück gesehen werden. Sie sind wichtig, weil sie für mich ein Fundament sein können für ein Leben, in dem viel Gutes und Schönes auch durch mich passiert. Sie können sich aber trotzdem mit der Liebe zu Gott und mit der Liebe zum Nächsten nicht messen. Denn genau diese Liebe ist eine Prüfung, ob ich das Leben als eine egoistische Spielwiese betrachte oder als einen Vorgeschmack des Reiches Gottes, in dem alle am Leben in Fülle teilhaben können.
Ich wünsche uns allen, dass wir nicht nur glücklicher sein wollen, sondern auch besser. Ich wünsche uns, dass in unserem Alltag erkennbar wird, dass die Nummer eins unseres Lebens Gott und der Nächste sind und wir dadurch der Beliebigkeit und dem Egoismus im Leben eine Absage erteilen.
Slawomir Dadas Pfarrer