Der diesjährige Einkehrnachmittag für Frauen stand unter dem Thema „Die Kraft der Vergebung“. Ein Thema, das viele bewegt – das war an der Anzahl der Teilnehmerinnen, an den Fragen und in den Diskussionen ersichtlich.
In der Mitte des Mariensaales lagen Steine als Symbol der Verletzungen, der Rache, des Unversöhnten in meinem Leben. Daneben ein Körbchen mit Blumen. Im Laufe des Nachmittags wurden immer wieder einige Steine gegen Blumen ausgetauscht – als Zeichen dafür, dass ich mich mit etwas versöhnen konnte.
Impuls: Versöhnung als Beseitigung der Störung
Unter Versöhnung verstehen wir eine Beseitigung der Störung der Beziehungen zu höheren Mächten oder zu Menschen. Die Störungen entstehen durch Unterlassungen, durch Gebotsüberschreitungen, durch Tabuverletzungen. Unter einem Tabu versteht man etwas, das heilig ist; eine Grenze, die man nicht überschreiten darf. In solchen Situationen beginnt man auch von der Schuld, von der Sünde zu reden.
Es gibt zwei Arten, mit der Störung umzugehen: entweder Schuldverdrängung oder Vergebung und Versöhnung.
- Schuldverdrängung
Wer sich der eigenen Schuld nicht stellt, leugnet die Wirklichkeit und lebt in der Spannung zwischen dem was man ist und was man sein sollte. Damit die Spannung ausgehalten wird, wird auch die Schuld verdrängt oder gelogen. Wer sich seiner Schuld nicht stellt, erlebt auch keine Vergebung – wobei es nicht um eine bloße Wiedergutmachung geht, sondern um Heilung der Wunden, der Beziehung. Eine solche Person lebt ständig mit der Störung, die in ihr Leben eingetreten ist.
Störungen sind entweder gegen sich selbst oder gegen die Gesellschaft gerichtet. - Versöhnung/Vergebung als die Behebung der Störung
Versöhnung mit sich selbst: Sich mit der eigenen Geschichte aussöhnen; sie weder verklären noch verdammen. Sich dem zu stellen, was mir widerfahren ist, was mich geprägt hat. Sich als Individuum annehmen und fühlen; als einmaliges Wesen – im religiösen Sinn von der Taufe her als von Gott geliebt und angenommen. Aus dem Glauben an einen guten, verzeihenden Gott nicht in die Selbstanklage und Selbstbeschuldigung verfallen, sondern an sich selbst seine Barmherzigkeit zulassen.
Versöhnung/Vergebung aus der Sicht der Religion: Im religiösen Sinn kann eine solche Störung durch unterschiedliche kultische Akte behoben werden:
Orakel-Befragung, Hilfe eines Mediums, durch Rache, Zorn oder Strafe
Reinigung, Waschung, Baden im heiligen Fluss
Asketische Übungen (Fasten, Wallfahrten)
Opfer bringen – Sühneopfer
Versöhnung mit der Gesellschaft: Wiedergutmachung des entstandenen Schadens (Justizentscheidung: Sühne durch Sozialarbeit, Finanzstrafe, Gefängnisstrafe …)
Versöhnung/Vergebung als Wegnahme von Schuld
Versöhnung im Neuen Testament
Die Sendung Jesu ist auf die Versöhnung ausgerichtet. Die Botschaft vom Reich Gottes stützt sich auf dem Willen Menschen mit Gott zu versöhnen. Gott selbst versöhnt die Menschen mit sich in seinem Sohn Jesus Christus. Die Mittlerschaft Christi erwirkte die Versöhnung und die Einheit mit Gott. Christus deckt auf, was versöhnungsbedürftig ist; denn die Versöhnung kann dort nicht gelingen, wo vieles verdrängt wird. Gott versöhnt mit sich, indem er dem Menschen die Wahrheit zumutet, damit das Unversöhnte und Verhängnisvolle nicht fortdauere.
Versöhnung in der Kirche
Das Leben der Christen steht nicht unter dem Primat der Sünde, sondern der Vergebung.
Zum Dienst an der Versöhnung sind alle Getauften verpflichtet. Durch Versöhnung mit und in der Kirche wird Communio – also Gemeinschaft – ermöglicht.
UNRECHT BEIM NAMEN NENNEN
Vergebung bedeutet nicht, auf Gerechtigkeit zu verzichten.
– Die Wahrheit muss ans Licht gebracht werden, das Unrecht beim Namen genannt werden.
– Der Teufelskreis von Gewalt und Rache sollte dadurch ein für alle Mal unterbrochen und Versöhnung möglich gemacht werden.
– Opfern die Möglichkeit geben, vor die Schuldigen zu treten und zu bezeugen, was ihnen angetan wurde; dadurch treten die einst hilflos Gepeinigten aus ihrer Opferrolle heraus und erobern sich Würde zurück (Südafrika)DIE VERSTRICKUNG LÖSEN
Wenn die Schuld nicht eingestanden wird, kann man es stellvertretend machen in Form eines Rituals: „Ja, dir ist Unrecht zugefügt worden. Es tut mir von Herzen leid.“ Diese Worte aus dem Munde eines anderen Menschen werden als sehr befreiend und heilend erlebt. Manche Menschen haben darauf ihr ganzes Leben lang gewartet. Vergebung befreit Physisch, mental, emotional und spirituell.DER VERÄNDERUNG RAUM GEBEN
– Die Hoffnung auf eine bessere Vergangenheit ein für alle Mal aufgeben. Was geschehen ist, ist geschehen. Es lässt sich nicht mehr rückgängig machen, sosehr wir uns dies auch wünschen. Wir müssen deshalb nicht gutheißen, was geschah. Unrecht bleibt Unrecht.
– Widerstand gegen die Un-Veränderbarkeit der Vergangenheit aufgeben; die Ketten der Vergangenheit lösen.
– Neue Perspektive der Zukunft in den Blick nehmen. Vielleicht gelingt es eines Tages dann sogar, einen Sinn in dem Leid zu entdecken, das uns widerfahren ist. Denn wir selbst entscheiden darüber, wie wir die Verletzung in unser Leben einordnen wollen.
Am Ende des Nachmittags haben wir miteinander Gottesdienst gefeiert. Bei den Steinen lagen nun viele Blumen – eine Mischung von versöhnten und unversöhnten Teilen meiner Geschichte. Elke Leitner, die Leiterin der KFB bedankte sich bei Pfarrer Dadas für seine interessanten, mit praktischen Beispielen humorvoll gespickten Ausführungen.
Fotos: Maria Greinöcker