Warum tut sich Jesus das an?

„Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt. Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott Lobte und sprach: Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade.“ (Lk 2,11-14)

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
als ich klein war und ganz selten – aber doch – den Heiligen Abend bei meinen Großeltern am Land verbrachte, hieß es damals: Wenn Du um Mitternacht in den Stall gehst, dann kannst Du die Tiere reden hören. Ich fragte:Was reden sie denn da? Die Antwort der Oma war kurz: Sie würden dich fragen, warum Du nicht in der Mette bist, sondern wie ein Esel im Stall stehst.

So möchte ich heute nicht die Tiere, sondern Gott persönlich reden lassen und Ihnen ein Gespräch vorstellen, das sich ereignen hätte können, als Jesus dem „Gottvater“ mitteilte, dass er auf die Erde kommen will.  Und da wir heute die Menschwerdung Gottes feiern, möchte ich Gott in menschlichen Rollen darstellen, auch wenn es theologisch nicht ganz richtig ist. Aber zum Gespräch:

  • Gott: Muss das sein? Warum tust Du dir das an, mein Sohn? Sie werden nicht vernünftiger und sie werden sich nicht bekehren, auch wenn du viele Jahre bei ihnen bleibst.
  • Jesus: Ach Vater, du wirst schon sehen, sie werden sich freuen, wenn sie einen von uns so richtig erleben können. Bisher hast du dich entweder in einer Wolke gezeigt, oder in einem brennenden Dornbusch, aber jetzt sollen sie wissen, dass wir auch fühlen können wie sie, dass wir mit ihnen mitleiden, dass wir uns um sie sorgen, dass wir ihnen nur das Beste wünschen, weil wir sie lieben.
  • Gott: Du warst schon immer ein Träumer. Kannst Du dich nicht erinnern, wie schnell sie uns vergessen, wenn es ihnen ein wenig besser geht? Gib ihnen ein bisschen mehr Korn oder ein paar Fische mehr, als sie zum Überleben brauchen und schon glauben sie, dass sie selbst Götter sind.
  • Jesus: Ja, aber das sind nur ein paar von ihnen. Und die anderen sind so dankbar und so zufrieden, wenn sie wissen, dass sie von uns beschützt werden. Ich kann wetten, dass sie sich freuen werden, wenn ich bei ihnen ankomme und von unserem Plan für sie erzähle.
  • Gott: Sie haben einen freien Willen. Vielleicht kannst Du sie mit deinem Leben überzeugen, auch wenn ich mir schon öfters die Finger verbrannt habe, weil ich ihnen vertraute. Sie sind wie die Kinder, die nicht wissen, was sie eigentlich wollen. Nur vor dem Schmerz und vor dem Tod haben sie noch ein wenig Respekt.
  • Jesus: Ja, das stimmt, dass sie wie die Kinder sind und dass ihnen schon ein wenig Blink, Blink die Sicht auf das Wichtigste verstellt, aber ich glaube an sie, an ihr Herz, an ihre Güte. Sie sind doch ein Abbild von uns. Ich bin überzeugt, dass ich es schaffe. Wetten wir?
  • Gott: Ok. Wir wetten. Aber vergiss es nicht, sie sollen in ihrer Entscheidung frei bleiben, wie wir frei sind, denn nur in Freiheit kann man uns ähnlich sein.

Und so schmiedete Jesus mit dem Heiligen Geist einen Plan und machte sich auf den Weg. Die Fortsetzung kennen Sie. Jesus wird ein durchschnittlicher Mensch, solidarisch mit denen, die nicht auf der Butterseite des Lebens den Alltag gestalten. Er wird einer von denen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, die sich in der Regel nicht beschweren, weil sie wissen, dass es nichts bringt. Er wird einer von denen, die nach Glück in den Beziehungen suchen, in Gemeinschaft, die auf Gerechtigkeit aufgebaut ist und dadurch viele zur Freude des Lebens führen will.

Aber musste das sein? Und wer hat eigentlich die Wette gewonnen?

Wenn wir gute zwei Tausend Jahre nach der Geburt Christi auf die Menschheit schauen und uns zu Schiedsrichtern machen um zu entscheiden, ob „Gottvater“ oder Jesus die Wetter gewonnen hat, was würden wir sagen? Hat Jesus die Menschheit überzeugt, dass das Göttliche nicht in Macht, nicht in Gewalt und nicht im Reichtum zu finden ist? Hat er genug Anhängerinnen und Anhänger, die bereit sind, seiner Spur zu folgen? Und wir selbst?  Richten wir unser Leben nach dem Plan Gottes, den wir in Jesus erkennen? Betrachten wir uns als Menschen, die immer das Wesentliche vor Augen haben?

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
es könnte sein, dass die Meinungen unter uns jetzt geteilt sind und einige sich auf die Seite „Gottvaters“ und die anderen auf die Seite Jesu stellen. Aber Gott geht es nicht um die Siegerhaltung und nicht um das Recht-Haben, sondern um die Erlösung.
Jesus hat sich das alles angetan, weil Gott Wege der Erlösung für die Menschen sucht und öffnet. Gott bietet sich in verschiedensten Formen an, damit möglichste viele das Ziel ihres Lebens – also die Vollendung bei ihm – erreichen. Er geht Wege zu uns, die uns unvorstellbar erscheinen. Er macht das nicht für sich, sondern für uns, damit wir ihn in der Welt erkennen und ihm in den Himmel folgen. Jesus tut sich das an, weil er liebt und weil er die Liebe teilt. Er tut sich das an, weil es ihm um uns und um unser Heil geht, das wir in der Entscheidung der Freiheit gewinnen können.

Ich wünsche uns allen, dass wir uns an diesem Weihnachtsfest der Gottesliebe öffnen können. Ich wünsche uns, dass wir auch dazu beitragen, dass Jesus die Wette gewinnt und die Menschen vernünftiger werden und dadurch sich schon hier auf der Erde als Kinder Gottes und ein Stück Himmel erfahren.

Slawomir Dadas
Pfarrer