„Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war. Da lief sie schnell zu Simon Petrus und dem Jünger, den Jesus liebte, und sagte zu ihnen: Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen, und wir wissen nicht, wohin man ihn gelegt hat. Da gingen Petrus und der andere Jünger hinaus und kamen zum Grab; sie lieben beide zusammen dorthin, aber weil der andere Jünger schneller war als Petrus, kam er als Erster ans Grab. Er beugte sich vor und sah die Leinenbinden liegen, ging aber nicht hinein. Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging in das Grab hinein. Er sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle. Da ging auch der andere Jünger, der zuerst an das Grab gekommen war, hinein; er sah und glaubte. Denn sie wussten noch nicht aus der Schrift, dass er von den Toten auferstehen musste.“ Joh 20, 1-9
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
das Leben jedes Menschen begleiten gewisse Aha-Erlebnisse, also Erfahrungen, bei denen man staunt, bei denen man sich wundert, bei denen man überrascht wird. Welche Aha-Erlebnisse gehören zu Ihrem Leben?
Für die Älteren könnte das ein Tonbandgerät gewesen sein, das 1935 erfunden wurde oder der Mikrowellenherd, der erst 1945 das Licht der Welt erblickte. Für die Nachkriegsgeneration könnte das ein Transistorradio sein, das 1954 auf die Welt kam oder ein Kassettenrecorder, der seit 1963 Generationen erfreute. Für die noch Jüngeren ist das sicher der Laptop, der nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken ist oder ein Handy, das bereits zu fast jedem Haushalt gehört, oder die Videotelefonie, die einen Sichtkontakt über die größten Entfernungen ermöglicht.
All diese Erfindungen und die damit verbundenen Aha-Erlebnisse veränderten unser Leben. Wir stellten uns und unsere Gewohnheiten auf sie um und sie haben einen deutlichen, dauerhaften Einfluss auf unser Verhalten.
Da wir heute nicht dazu da sind, um ein Erfinderquiz zu machen, ist auch die Frage selbstverständlich und von Ihnen bereits erwartet gewesen: Wann haben Sie im Glauben, in Ihrem religiösen Leben ein Aha-Erlebnis? Wann haben Sie im Glauben gestaunt, waren überrascht, erfuhren etwas, das Sie stark beeindruckt und beeinflusst hat?
War das gerade vor Kurzem, weil Sie sich in der Fastenzeit mehr mit der Thematik beschäftigt haben, oder liegt so etwas bereits Jahre zurück und Sie können sich vielleicht nicht einmal genau erinnern, was und wann das gewesen ist. Vielleicht haben Sie das Gefühl, dass Sie sie nicht brauchen, diese Aha-Erlebnisse im Glauben, weil Sie sich sowieso an die Tradition halten und nichts und niemand kann sie davon abbringen.
Zuerst möchte ich sagen: Schön, dass Sie da sind; egal ob mit Aha- oder auch ohne Aha-Glaubenserfahrungen. Aber ich bin überzeugt, dass wir solche Erlebnisse brauchen, damit unser Glaube, ja unsere Beziehung zu Gott nicht abstumpft. Ich bin überzeugt, dass es solche Erlebnisse braucht, damit unser Glaube sich entwickeln kann und uns in jeder neuen Lebensphase Kraft und Halt gibt.
Für Maria von Magdala, für Petrus und für Johannes war das leere Grab das Aha-Erlebnis. Der Totgeglaubte ist nicht mehr da. Es ist etwas passiert, was gegen jede Logik und gegen jedes Brauchtum verstößt. Dem Toten war seine Ruhe gegönnt. Nichts und niemand hat sie unterbrechen dürfen. Aber er ist nicht dort, wo er bestattet wurde. Alleine diese Erfahrung veränderte ihr Leben und dann noch die Begegnungen des Auferstandenen, die ihnen und vielen anderen eine neue Glaubenskraft gaben.
Und was könnten die religiösen Aha-Erlebnisse unserer Zeit sein? Was könnte uns im Glaubensleben zum Staunen bringen und unser Leben verändern? Vielleicht kommt einmal bei Ihnen die österliche Botschaft an, die besagt: Du bist von Gott unendlich geliebt, egal in welcher Lebenslage Du gerade bist, und er will, dass Du sein Heil bereits jetzt erfährst und zum neuen Menschen wirst. Vielleicht erschüttert Sie einmal eine Nachricht von einer Krankheit, vom Tod, von einer zerbrochenen Beziehung und bringt Sie zum tiefen Nachdenken über die Vergänglichkeit, Zerbrechlichkeit des Lebens aber auch über die Zusage Gottes, dass er alles vollenden und heil machen will.
Vielleicht spricht Sie einmal ein Wort der Bibel an, so als ob es nur für Sie geschrieben worden wäre und es lässt Sie längere Zeit nicht los und es zwingt Sie, es im eigenen Leben umzusetzen.
Vielleicht berührt Sie einmal eine Lebensgeschichte eines Menschen, der trotz einiger Schicksalsschläge am Glauben festhält und weiterhin daraus Kraft schöpft.
All diese religiösen Aha-Erlebnisse und hundert andere sind echte Gotteserfahrungen, wie die der Frauen und der Männer beim leeren Grab. Sie sind die leise Stimme Gottes in der Welt und wollen uns zeigen, wie Gott in unserem Leben wirkt. Sie wollen unseren Glauben stärken, ihn weiterentwickeln und uns Gott näher bringen.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
das leere Grab ist nicht das Ende, sondern der Beginn einer besonderen, neuen Geschichte mit Jesus. Das leere Grab ist die Aha-Erfahrung der Freunde Jesu und der Übergang zu einer neuen noch tieferen Beziehung zu ihm. Ich wünsche uns allen, dass auch wir die Gotteszeichen in unserem Leben deuten können. Ich wünsche uns, dass wir immer dazu bereit sind, uns von Gott überraschen zu lassen, um ihn auch dort zu finden, wo die anderen nur ein leeres Grab sehen.
Slawomir Dadas Pfarrer