Karfreitag und Notre Dame – Symbole der Sehnsucht

„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie. Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch, und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen. Dann sprach Gott: Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen. Allen Tieren des Feldes, allen Vögeln des Himmels und allem, was sich auf der Erde regt, was Lebensatem in sich hat, gebe ich alle grünen Pflanzen zur Nahrung. So geschah es. Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut.“  Gen 1, 1.26-31a

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
in den letzten Tagen haben die christlichen Themen die Öffentlichkeit beherrscht. Zuerst ging es um den Karfreitag und um die politische Scheinlösung, ihn als einen persönlichen Feiertag zu deklarieren, dann um die Pariser Kathedrale Notre Dame, die ein besonderes Wahrzeichen des Christentums in Frankreich ist. Beide, sowohl der Karfreitag als auch die Kathedrale, haben einen Symbolcharakter. Für beide gab es große Solidaritätsbekundungen, aber letztendlich werden beide eine Niederlage erleben.

Denn sollte der Karfreitag, wie durch ein Wunder trotzdem noch frei werden, könnte er sich selbst fragen, warum eigentlich? Wozu das Ganze? Damit die Menschen mehr Zeit zum Einkaufen vor den Feiertagen haben? Ich bin überzeugt, dass er sich selbst dafür zu schade ist.

Auch die Kathedrale, nach dem sie aufgebaut wird, wird sich fragen, wozu das Ganze? Damit tausende Touristen nach Paris kommen? Dazu wurde sie nicht gebaut.

Karfreitag und Notre Dame haben etwas gemeinsam. Sie waren Symbole des Glaubens, der Zuwendung zu Gott und zu seinem Heilsplan. Sie waren Unterbrechungen des Alltags, Orte der Auszeit von der Arbeit, wo der Mensch sich auf sein Leben und seinen Weg durch die Welt bis hin in die Ewigkeit besinnen konnte.

Und jetzt? Jetzt sind sie Symbole für ein absterbendes christliches Leben mitten unter uns; sie sind Symbole für immer mehr Bedeutungslosigkeit des Christentums in Europa. Sie sind Symbole dafür, dass der Mensch sich von Gott und dadurch von sich selbst und von dem wahren Leben entfernt. Es kann sein, dass sie auch Symbole meines Lebens sind; Symbole für abgebrannte, auf die Seite geschobene Werte, Symbole für die zerstörten Träume und die nicht erfüllten Vorsätze.

Aber der Karfreitag und die Notre Dame sind auch noch Symbole einer Sehnsucht nach der großen, alles übersteigenden und lebenserhaltenden Kraft. Sie sind Symbole einer Sehnsucht nach einem wahren Leben, wo nicht nur die Wirtschafts- und die Touristenzahlen etwas bedeuten, sondern der Mensch selbst, mit seinen Wünschen nach Freude und Beziehungen, nach einer guten Zukunft in Frieden und Sicherheit. Sie sind diese Sehnsucht, die aber oft  durch Konsum und durch Bequemlichkeit verschüttet wurde, erstickt in den Sorgen des Alltags.

Sie sind KARFREITAG – der Tag, an dem uns die Hoffnungslosigkeit überfällt, an dem die Trauer ausbricht, an dem die Zukunft verdeckt, verschleiert und verdunkelt wird. Sie machen uns sprachlos und rufen das Gefühl der Machtlosigkeit hervor.

In unserem christlichen Glauben hat aber der Karfreitag nicht das letzte Wort. Und wenn wir uns von der medialen Hysterie nicht in die Irre führen lassen und uns vor allem dem Wesentlichen zuwenden, dann können sie für uns zum Symbol der neuen Hoffnung werden. Denn sie können, wie das Kreuz, Fragen entstehen lassen: Warum wird der Glaube so relativiert? Warum wenden sich die Menschen von Gott ab? Warum verlieren die Zeichen seiner Gegenwart unter uns in Form von Gebäuden oder Feiertagen an Bedeutung? Warum hat unser Glaubenszeugnis so an Kraft verloren? Warum lasse ich mich von den Trends und Moden treiben, die mich vom wahren Leben abbringen?

Liebe Schwestern, liebe  Brüder,
der geraubte Feiertag und die angebrannte Kathedrale können für uns eine neue Begegnung mit dem Auferstandenen sein. Sie können unseren Blick auf das Wesentliche der Botschaft Jesu richten. Und dadurch können sie in uns eine neue Kraft entstehen lassen, einen lebendigen Glauben erwecken, damit er in unserem Leben mehr Platz gewinnt, als alle toten Brauchtümer. Denn Jesus befreit zum Leben; manchmal durch Zerstörung, manchmal durch den Abschied von dem Gewohnten und Liebgewonnenen, manchmal durch die Tränen, manchmal durch das Gefühl der Dunkelheit aber immer mit der Zusage, dass er uns nicht verlässt und alles vollenden will.

Ich wünsche uns allen, dass die Sehnsucht nach mehr Leben und nach mehr Freude, die uns im Alltag begleitet, gerade jetzt zu Ostern eine neue Kraft bekommt. Ich wünsche uns, dass wir unsere Tage aus der Überzeugung gestalten, dass Gott uns zum Leben befreit und uns manchmal durch Trümmer einen neuen Weg zeigt, der zur Fülle des Lebens führt.

Slawomir Dadas
Pfarrer