Vor einigen Jahren haben wir intensiv über ein Leitbild für unsere Pfarre nachgedacht. Der erste Satz dieses Leitbilds heißt: „Erkennbare christliche Gemeinde“, also wir sollen eine erkennbare christliche Gemeinde sein. Da ist jetzt die Frage was heißt das: christlich und woran kann man es erkennen? Im Leitbild heißt es dazu: „das Wort Gottes ist unsere Quelle“; „unsere christliche Grundeinstellung bedingt soziales Engagement“ und „wir gehen wertschätzend miteinander um, weil wir leben was wir glauben“.
Zurzeit spielt Christentum gerade auch in gesellschaftlichen und politischen Statements eine große Rolle. Diese Argumente sind allerdings oft hinterfragbar.
Christentum ist angeblich unsere Leitkultur. Tatsächlich ist aber in unserer Kultur nicht viel Christliches zu erkennen. Dann hört man immer wieder, das christliche Abendland muss geschützt werden. Aber war denn dieses Abendland irgendwann einmal wirklich christlich. Das vielzitierte „wehrhafte“ Christentum ist ein Widerspruch in sich und ist gegen die Botschaft Jesu.
Der aktuelle Slogan „Österreich oder Amerika oder sonst ein Land zuerst“ ist dumm, egoistisch und zutiefst unchristlich. Und es ist äußerst perfide, mit dem Christentum zu argumentieren, um andere auszugrenzen oder gar ganz real neue Mauern und Zäune hochzuziehen.
Jesus hat auch eine Art Definition für eine erkennbar christliche Gemeinde formuliert: „Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Daran wird man euch erkennen.“ Liebt einander, wie ich euch geliebt habe. Liebt einander, wie Gott euch liebt. Das ist die Liebe, die ohne Unterschied auf alle Menschen ausgerichtet ist, die Liebe, die maßlos und grenzenlos ist. Wenn Christentum Nachfolge Jesu ist, dann ist Christentum zuerst Liebe. Und Liebe wird da konkret, wo sie Mauern durchbricht und Grenzen überwindet.
„Ich gebe euch ein neues Gebot“ hat Jesus gesagt. Wenn wir uns so umschauen, wenn wir uns anschauen was in Politik und Gesellschaft gerade abgeht, wenn wir uns anschauen wie wir selber denken und handeln, dann müssen wir leider sagen, es ist, auch für uns heute, nach 2000 Jahren, tatsächlich ein neues Gebot.
Es ist zum Verzweifeln. Wir bringen es nicht. Es ist zu viel verlangt. Eigentlich müssten wir gehen, davonlaufen, aufgeben, weil wir dem Anspruch nicht gewachsen sind. Wir müssten gehen, wenn da nicht dieser Traum aus der Offenbarung wäre. Der Traum, den Johannes geträumt hat, der Traum, den ich zu träumen wage, der Traum, den wohl auch sie immer wieder träumen. Es wird ein neuer Himmel und eine neue Erde sein. Und es wird ein neues Jerusalem, eine neue Stadt Gottes sein. Nicht das Jerusalem, in dem sich Juden, Muslime und Christen im Namen desselben Gottes bekriegen. Sondern eine neue Stadt, in der Gott selbst wohnt, in der alle Menschen Platz haben, in der niemand ausgegrenzt wird. In diesem Traum liegt alles.
Wenn einer etwas träumt, dann bleibt es ein Traum. Wenn aber viele gemeinsam träumen, dann kann das der Beginn einer neuen Wirklichkeit werden.
Rudolf Bittmann Diakon