Der gute Teil ist für uns alle da

Mit meiner Schwester ist es genauso. Sie ist immer die Maria und macht es sich gemütlich. Und ich bin die Marta, die sich abschuftet und die ganze Arbeit macht. Und dabei kommt sie sich noch so überlegen vor. So ungefähr in diesen Worten hat mir das eine Freundin einmal erzählt.

Und vom Ausspruch: „heute bin ich einmal die Maria“, von dem wurde mir auch schon oft berichtet. Übersetzt heißt das: ich lass mir es gut gehen und du hast die Pflicht, dich um mich zu sorgen. Ich kümmere mich ja um Höheres. In der Regel sind es immer die, die jeden Tag „heute einmal die Maria“ sein wollen. Es wird, wenigstens indirekt mit Berufung auf diese Bibelstelle, eine Bewertung vorgenommen. Auf der einen Seite die hohe, wertvolle, geistvoll abgehobene Beschäftigung und auf der anderen Seite die niedere, mindere, unwichtige Arbeit, die der anderen zu dienen hat. Das erscheint total ungerecht. Aber was soll man machen, wie soll man argumentieren, wenn Jesus das genau SO sieht. Dagegen kann man nicht angehen, das muss man dann einfach hinnehmen. Oder doch nicht?

Wenn wir die Erzählung des Lukas einmal einfach so auf uns wirken lassen, dann hat es sich Jesus doch auch recht gemütlich gemacht. Hat sich bewirten und bedienen lassen von Marta. Hat gegessen, getrunken. Und Marta wieselt herum und überlegt dauernd, was sie Jesus noch Gutes tun könnte. Jesus hat das sicher genossen.

Maria setzte sich zu Jesus und hört ihm zu. Sie hängt an seinen Lippen. Sicher ganz großartig. Aber ohne eine Marta an ihrer Seite hätte das schnell in einem sehr unerfreulichen Desaster geendet. Ist Maria mehr wert als Marta? Ist der Pfarrer, bin ich mehr wert als die Männer, die in schwerer und halsbrecherischer Arbeit dieses riesige Gerüst aufgestellt haben? Nur, weil wir uns vielleicht etwas mehr mit geistlichen, spirituellen Dingen beschäftigen? So einfach kann es nicht sein, so schlicht ist das Denken Jesu nicht. Geht es nicht viel mehr darum, dass Jesus merkt, wie Marta in ihrer Rolle unglücklich ist, dass sie ihre Sorgen, Nöte und Unruhe hinter Geschäftigkeit verbirgt. Dass er eigentlich sagt: lass los, lass dich nicht auffressen von der Arbeit, werde ruhig, setz dich zu uns. Dieser gute Teil, der ist auch für dich da. Es geht bei der ganzen Stelle eigentlich doch hauptsächlich um Marta. Und um die ganzen Martas in unserer Zeit. Die leisten Unglaubliches und es wird so oft nicht einmal wahrgenommen, von den Partnern, von den Kindern, von den Eltern, vom Chef, von der Gesellschaft. Da bekommt der Hinweis Jesu einen ganz konkreten Sinn: nimm dir immer wieder einmal eine Auszeit, eine Zeit für dich, eine Zeit zum Zuhören, zum Innehalten, zum Hinhören, zum in dich hineinhören.

Und dann geht es noch um jemanden: diese Geschichte ist nicht nur eine Marta-Maria Geschichte, ist nicht nur eine Frauengeschichte. Es ist eine Geschichte genauso für Männer. Wir Männer lassen uns genauso, oder vielleicht noch viel mehr, in die reine Geschäftigkeit fallen. Wir fühlen uns so gut im Tun, in der Aktion, und so unwohl im ruhig werden, im still werden und im einfach hinhören. Diese Geschichte fordert uns alle, Frauen und Männer, auf, neben dem täglich Notwendigen das auch noch Wichtige zu erkennen und auch dem Innehalten, der Stille, dem Hören Zeit zu geben.

Jesus fordert uns alle auf: wähle auch etwas von diesem guten, wichtigen Teil. Du brauchst das. Und dieser gute Teil ist für uns alle da, auch für dich.

Rudolf Bittmann
Diakon