Am 15., 22. und 29. Oktober fand die bereits fünfte Bibelwerkstatt, diesmal zum Thema „Wunder – gibt’s die?“ statt.
Neben der geschichtlichen und theologischen Aufbereitung des Themas durch die Vortragenden Rudi Bittmann, Mag. Eva Kastner und Elisabeth Malzer wurden wieder ausgewählte Bibelstellen in Kleingruppen bearbeitet.
Definition
Als Wunder bezeichnen wir häufig (noch) nicht Erklärbares, mit den Naturgesetzen Nicht-Vereinbares, das uns in Staunen versetzen kann. Für Gläubige sind Wunder auf das Eingreifen Gottes zurückzuführen.
Die Wundererzählungen der Bibel sind unter dem Blickwinkel zu betrachten, dass sie in einer bestimmten Zeit, in der ein völlig anderes Weltbild als heute galt, aufgeschrieben wurden, nicht wörtlich zu verstehen sind und wohl meist keine Tatsachenberichte darstellen, sondern vielmehr etwas erklären, aussagen wollen. Wunder gelten als Zeichen, dass das Reich Gottes hereingebrochen ist, durch sie wird das Wirken Jesu sichtbar. Jesus bricht Tabus seiner Zeit, um den Menschen zu helfen. Die von den Evangelisten nach Jesu Tod aufgezeichneten Wundererzählungen wurden für bestimmte Zielgruppen geschrieben, um wichtige Aspekte hervorzuheben.
Grundsätzlich wird zwischen Heilungswundern, Exorzismen, Geschenkwundern (Weinwunder), Normenwunder (Heilungen am Sabbat), Naturwundern (Brotvermehrung) und der Totenerweckung unterschieden, wobei bei den Wundererzählungen meist Überschneidungen der Thematiken vorliegen.
Wundererzählungen in den Evangelien
Die Evangelisten übernahmen die Erzählungen von den Wundertaten Jesu aus den ihnen vorliegenden Überlieferungen und Aufzeichnungen, setzten dabei aber auch eigene Akzente.
Im Markusevangelium (70 n. Chr.) etwa nehmen Wunderüberlieferungen einen breiten Raum ein. Aus seiner Sicht hat Jesus die Macht, Wunder zu wirken. Markus‘ Schwerpunkt liegt im Bereich Heilungen und Dämonenaustreibungen. Dabei handelt es sich vielfach um Sammelberichte. Jesu Wundertaten sind in Beziehung zu seiner Verkündigung zu verstehen. Die Geheilten und seine Jünger belegt er dabei mit Schweigegeboten (niemand soll davon erfahren). Jesus kann aus Markus‘ Sicht nur verstanden werden, wenn man seinen ganzen Weg bis zur Auferstehung betrachtet.
Das Matthäusevangelium (80-90 n. Chr.) ähnelt im Wissen um das Markusevangelium diesem auch in seinem Aufbau. Auch für Matthäus gilt: Jesus besitzt die Macht Wunder zu vollbringen. Dies verbindet Matthäus aber mit anderen theologischen Zusammenhängen z. B. Prophezeiungen des AT. Ihm ist die Darstellung Jesu als heilender Wundertäter wichtig.
Das Lukasevangelium (80 – 90 n. Chr.) mit der Apostelgeschichte ist das längste und umfangreichste Evangelium. Lukas stellt Jesus als Heiland der Elenden und Verachteten, der Armen und Sünder dar. Dieses Evangelium enthält fünf Erzählungen mit Wunderthematik, die in den anderen Evangelien nicht genannt werden. Wie Markus betont auch Lukas das göttliche Wesen Jesu und schließt sich auch hinsichtlich der Schweigegebote diesem an. Wie Matthäus greift auch er auf alttestamentarische Prophezeiungen zurück. Die Antrittsrede in Nazaret (Worte der Verheißung) sind für ihn von besonderer Bedeutung.
Das Johannesevangelium (90 – 100 n. Chr.) unterscheidet sich vielfältig von den anderen drei Evangelien. Die von Jesu gewirkten Wunder werden als „semeia-Zeichen“ bezeichnet, an denen man eine Person oder Sache erkennen kann, ein bestätigendes Kennzeichen oder Merkmal. Diese Zeichenhandlungen sind zwischen Wanderungen und Reden Jesu eingebettet und wirken über sich selbst hinaus, weisen also auf Jesus hin, der sie wirkt z. B. Das Weinwunder zu Kana, Die Speisung des Volkes am See von Tiberias, Die Auferweckung des Lazarus.
Gibt es Wunder also wirklich?
Vielleicht sind die in den Evangelien dargestellten Wundererzählungen gar keine „wirklichen Wunder“, zumindest nicht alle und sicher nicht Wunder an und für sich. Sie wollen vielmehr auf etwas hinweisen. Die Wundererzählungen der Bibel haben vor allem den wesentlichen Grund, die Gestalt Jesu als den Messias und Sohn Gottes herauszustellen.
Wundererzählungen sind eine Einladung an uns, uns auf eine Wirklichkeit einzulassen, die wir mit unseren Naturgesetzen und den uns bekannten Dimensionen von Raum und Zeit nicht erklären können. Entscheidend ist, dass vor dem Wunder der Glaube steht. Dieser Glaube besteht nicht darin, die wunderbaren Taten selbst für wahr zu halten und bezieht sich schon gar nicht auf die buchstäbliche Richtigkeit der konkreten Schilderung in der Bibel.
Der Glaube ist vielmehr das Vertrauen auf Gottes heilvolles Wirken und darauf, dass in diesem Glauben für jede und jeden von uns wunderbare Erfahrungen möglich sind.
Die nächste Bibelwerkstatt findet voraussichtlich im Herbst 2020 statt.
Fotos: Reinhold Wöginger Text: Birgit Breitwieser