„In jener Zeit, als Jesus die vielen Menschen sah, die ihm folgten, stieg er auf den Berg. Er setzte sich und seine Jünger traten zu ihm. Und er öffnete seinen Mund, er lehrte sie und sprach:
Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. Selig die Sanftmütigen; denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden. Selig die Barmherzigen; denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden kinder Gottes genannt werden. Selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und alles Böse über euch redet um meinetwillen. Freut euch und jubelt: Denn euer Lohn wird groß sein im Himmel.“ Mt 5, 1-12a
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
die meisten von Ihnen wissen, dass ich bei dem diözesanen Zukunftsweg mitdenke und ihn mittrage und mitgestalte. Auch wenn derzeit vor allem in dem Prozess die Strukturen der neuen Pfarren im Vordergrund stehen, denken wir natürlich auch über die Erneuerung des Glaubenslebens nach. Wir hoffen, neue Wege zu mehr Menschen unserer Zeit zu finden und einige besonders wichtige Bereiche des kirchlichen Lebens in den Blick zu nehmen; z.B. die Jugend, die Solidarität mit den Schwächsten in der Gesellschaft, die kirchliche Haltung der Gastfreundschaft und des Gebetes oder die Glaubensverkündigung und die Feier des Glaubens. Aber was würden Sie dazu sagen, wenn wir einen Wettbewerb ausschreiben würden unter dem Titel: „Der heiligste Mensch Oberösterreichs“. Dabei würde man die Heiligkeit einer Person durch eine Kommission bewerten und die Kandidatinnen und Kandidaten bis zu sieben Mal (eine biblische Zahl) prüfen, um zum Schluss den heiligsten Menschen Oberösterreich zu küren. Würden Sie sich zu einem solchen Wettbewerb anmelden? Würden Sie sich Chancen ausrechnen, die zweite oder die dritte Runde zu erreichen? Welchen Kriterienkatalog müsste man zusammenstellen, um die Menschen in ihrer Heiligkeit zu bewerten?
Und wenn Sie aus unserer Pfarrgemeinde zu diesem Bewerb delegiert werden würden, wie würden Sie sich darauf vorbereiten, wie an Ihrer Heiligkeit weiterarbeiten und sie weiterentwickeln? Würden Sie nur noch in der Kirche sitzen, täglich beichten gehen, und mindestens einmal am Tag – wie die Pfadfinder – eine gute Tat tun? Gibt es da von der Seite der Kirche einen Leitfaden, einen Weg zur Heiligkeit?
Da der Begriff „Heilig“ so oft und in so verschiedenen Situationen verwendet wird, ist seine ursprüngliche Bedeutung bereits verloren gegangen. Manchmal wird er mit einer kirchlichen oder sozialen Leistung in Verbindung gebracht, manchmal mit einer extremen Form der Frömmigkeit.
Der Weg zur Heiligkeit ist aber ein ganz individueller Weg in der Nachfolge Jesu. Er ist ganz anders für eine Mutter und einen Vater, die zwischen Familie und Beruf stehen, ganz anders für ein Kind oder eine Jugendliche, die erst versuchen, einen Platz in der Gesellschaft zu finden, ganz anders für einen älteren Menschen, der Schritt für Schritt viele Verpflichtung loslassen muss und immer mehr mit der Gebrechlichkeit und Vergänglichkeit des Lebens konfrontiert wird.
Aber die Heiligkeit hat für alle etwas Gemeinsames. Sie ist kein kurzfristiger Event einer Erlebnisgesellschaft, kein Marketing-Gag um die Menschen an die Kirche zu binden, aber auch kein Verharren in den übernommenen Traditionen. Die Heiligkeit ist eine Haltung und ein Weg: die Haltung, die manchmal gegen die Moden und gegen die Trends steht, der Weg, der erst dann zu Ende ist, wann wir bei Gott in seinem Reich der Liebe ankommen.
Die Haltung der Heiligkeit lässt sich dort erkennen, wo jemand vor der Not des anderen die Augen nicht verschließt, wo jemand Versöhnung sucht, ohne zu fragen, wer schuld gewesen ist, wo jemand aufrichtet und aufbaut, dort wo die anderen zerstören, wo jemand fremde Tränen trocknet, ohne dafür etwas zu erwarten, wo jemand heilend wirkt, wo die anderen die krankmachenden Systeme unterstützen. Das ist die Haltung der Heiligkeit und der Weg dorthin sind die täglichen Schritte, kleinere und größere, die uns darin bestärken nur so und nicht anders zu handeln.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
es ist von der Diözese derzeit nicht geplant, einen Wettbewerb: „Der heiligste Mensch Oberösterreichs“ auszuschreiben. Es ist nicht geplant, Ihre persönliche Heiligkeit zu bemessen. Es ist aber auch unabhängig von dem Zukunftsweg unsere christliche Pflicht darüber nachzudenken, ob wir uns auf dem Weg der Heiligkeit befinden, ob wir eine Haltung angenommen haben, die uns dazu berechtigen würde, an einem solchen Wettbewerb teilzunehmen.
Dr. Slawomir Dadas Pfarrer