Eine solche Stille ist ein Segen

„Dir ist Schweigen Lobgesang, Gott, auf dem Zion, dir erfüllt man Gelübde. Du erhörst das Bittgebet. Selig, den du erwählst und in deine Nähe holst, in deinen Höfen darf er wohnen. Wir wollen uns sättigen am Gut deines Hauses, am heiligen Gut deines Tempels.
Furcht gebietende Taten vollbringst du und gibst uns Antwort in Gerechtigkeit, du Gott unsrer Rettung, du Zuversicht aller Enden der Erde und der fernsten Gestade. Du gründest die Berge in deiner Kraft, du gürtest dich mit Stärke. Du stillst das Brausen der Meere, das Brausen ihrer Wogen, das Tosen der Völker; das Kommen des Morgens und des Abends erfüllst du mit Jubel.
Du hast für das Land gesorgt, es getränkt, es überschüttet mit Reichtum. Der Bach Gottes ist voller Wasser, gedeihen lässt du ihnen das Korn, so lässt du das Land gedeihen. Du hast seine Furchen getränkt, seine Schollen geebnet, du machst es weich durch Regen, segnest seine Gewächse. Die Weiden bekleiden sich mit Herden, es hüllen sich die Täler in Korn. Sie jauchzen, ja, sie singen.“ Lobpreis auf den Retter und Schöpfer, Ps 65

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
wann haben Sie das letzte Mal die Stille gehört? Kann man die Stille überhaupt hören? Wenn wir sie als Gegensatz zum Lärm betrachten, dann nicht, denn dann ist die Stille die Abwesenheit von Geräuschen. Aber die Welt ist nicht frei davon. Wenn wir jetzt kurz still stehen würden, könnten wir das Fallen der Blätter oder das Knistern der Äste hören. Die Stille muss also etwas anderes sein, als eine Negation. Sie ist das Zulassen von Geräuschen, die vom Lärm der Technik übertönt werden. Die Stille ist der Verzicht auf alles, was die Stimmen der Natur in meiner Umgebung und was die Stimmen meines Inneren nicht hören lässt.

Wir sind aber die Stille nicht gewöhnt und darum tun wir uns so schwer, mit ihr umzugehen. Der alltägliche Lärm, dem wir ständig ausgesetzt sind, wird von uns selbst zusätzlich verstärkt; durch das ständige Einschalten der akustischen Medien. Ja, viele Menschen können mit der Stille nichts anfangen und fühlen sich nicht wohl, wenn sie ihnen aufgezwungen wird.

Es gibt aber einen besonderen Moment im Leben jedes Menschen, in dem er mit der Stille brutal konfrontiert wird. Und dieser Moment heißt der „Tod“. Und dann heißt es: Er ruft nicht mehr an. Sie spricht nicht mehr. Sein Lachen ist verstummt. Ihre Schritte habe ich schon lange nicht mehr gehört. Und es ist still. Und man muss mit dieser Stille umgehen lernen. Und sie lässt sich nicht durch das Einschalten eines Radios verdrängen. Und sie kehrt immer wieder zurück, wenn es Abend wird und wenn die Geschäftigkeit des Alltags zur Ruhe kommt.

Und wenn jemand diese Stille zulässt, wenn jemand sie nicht zu übertönen versucht, dann ist sie heilsam. Denn in ihr hören wir noch all das, was uns miteinander auch über den Tod hinaus verbindet. In einer solchen Stille hören wir noch die Worte, die zwar vor Jahren ausgesprochen wurden, aber die noch immer von der Liebe, von der Hoffnung, von der Zukunft handeln. In einer solchen Stille hören wir die bereits vergossenen Tränen, das Flüstern in den gemeinsam durchwachten Nächten am Bett des Kindes, aber auch das Lachen nach dem gefundenen Ausgang aus der einen oder der anderen Sackgasse des Lebens.

Eine solche Stille ist ein Segen, denn der Mensch begegnet in ihr all der Sehnsucht, die in ihm schlummert, all den Träumen nach dem Sieg über den Tod, all der Hoffnung und all dem Glauben, dass die Liebe und die Versöhnung stärker sind, als das verletzbare und unvollkommene irdische Leben.

Diese Stille im eigenen Leben zuzulassen bedeutet, in die Stimme des ewigen Gottes einzutauchen; es bedeutet, seine Zusagen von der Vollendung des Lebens in seinem Reich des Friedens und der Liebe wahrzunehmen, es bedeutet, nicht alleine zu sein mit der Vergänglichkeit dieses Lebens, sondern in der Gemeinschaft mit dem, der über der Zeit steht und uns in die Unendlichkeit des Lebens führen will.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
der Umgang mit der Stille in einer Welt voller Lärm und Hast ist nicht einfach. Von der Stille wird bewusst abgelenkt, sie wird als nutzlos dargestellt, als ein leerer Raum, den es zu füllen gilt. Die Stille ist aber vielfach voller, als sich die Unterhaltungsproduzenten vorstellen können, doch sie führt uns auch in eine andere Richtung, als diese es wollen. Die Stille führt zu uns selbst, zu unserem Inneren, zu dem was uns von Gott ins Herz gelegt wurde. Die Stille führt uns in die Wirklichkeit, die die Welt uns nicht bieten kann; in die Wirklichkeit der Begegnung mit Gott und mit den Menschen, die bereits bei ihm vollendet wurden.

Ich wünsche uns allen, dass wir die Stille des Todes nicht als Bedrohung betrachten, sondern als eine Chance zu einer neuen Beziehung über den Tod hinaus sehen. Ich wünsche uns, dass uns die Stille der Gräber, des Friedhofs, der entzündeten Kerze vermittelt, dass genau hier Gott mit uns ist, Gott, der das Leben aus dem Tod rettet, Gott der tröstet und Hoffnung gibt, Gott, der alle, die mit ihm durch das Leben gehen zu einem versöhnten Wiedersehen führt und in Liebe vollendet.

Dr. Slawomir Dadas
Pfarrer