„Jesus aber erhob seine Augen und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich wusste, dass du mich immer erhörst; aber wegen der Menge, die um mich herum steht, habe ich es gesagt; denn sie sollen glauben, dass du mich gesandt hast. Nachdem er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Da kam der Verstorbene heraus; seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt, und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. Jesus sagte zu ihnen: Löst ihm die Binden, und lasst ihn weggehen!“ Joh 11, 41b-45
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
das Coronavirus hat uns fest im Griff. Neben vielen Unannehmlichkeiten, wie eingeschränkte Kontakte mit Familienmitgliedern, Freunden oder Kollegen, wie zu wenig Sauerstoff und zu wenig Bewegung, deckt es etliche positive und negative Haltungen in der Gesellschaft auf. Einige Menschen beginnen die Zeit für sich und für die Familie zu schätzen, die anderen halten sie fast nicht aus. Einige engagieren sich für die anderen, andere erstarren fast aus Unsicherheit und Angst. All das ist für mich nachvollziehbar.
Was mich aber in den letzten Wochen besonders irritiert hat, war die Haltung einiger Staatsverantwortlicher in der Welt im Zusammenhang mit dem Einfluss der Pandemie auf die Wirtschaft. Einige haben wirklich auszusprechen gewagt, was sie wahrscheinlich in den letzten Jahren „im Stillen“ gelebt haben: dass die Erhaltung der Wirtschaft die höchste Priorität hat und dadurch wichtiger sei, als die Gesundheit von Menschen. Der Lebensstandard müsse erhalten bleiben auch auf die Gefahr der Ansteckung und des Todes von Tausenden Menschen.
Wenn das die „stille Haltung“ in vielen Großfirmen und Konzernen ist, dann ist es verständlich, dass sich in vielen Arbeitsbereichen das Klima drastisch verschlechtert hat; dann ist es kein Wunder, dass die Menschen sich wie ein Rad im Getriebe, eine Nummer in einem Produktionsablauf fühlen und zum Teil ausbrennen, krank werden, Lebensfreude und Lebensenergie verlieren.
Diese Wahrnehmungen führen uns zum fünften Thema unserer Predigtreihe, zum Klimawandel in der Arbeitswelt und zur Frage: Arbeiten wir um zu leben, oder leben wir um zu arbeiten?
Aber noch einmal zu unserer derzeitigen Situation.
Halten Sie diese Zeit ohne Arbeit gut aus? Entdecken Sie einige Vorteile, wenn Sie jetzt nicht über die Arbeitsleistung definiert werden, oder ist doch die Angst um die Absicherung des Lebens noch so groß, dass Sie über die gegenwärtige Situation nicht wirklich nachdenken und sich an ihr schon gar nicht erfreuen können? Aber so ist es jetzt. Sie sind Zuhause und können nicht davon berichten, wie toll das eine oder das andere Projekt geworden ist, wie zufrieden Ihre Kunden waren, wieviel mehr Sie geschafft haben, als Sie selbst geglaubt haben. Viele können sich jetzt nicht über die Arbeit definieren. Sie leben, um zu leben, um das Leben mit den geringen Mitteln abzusichern und nicht, um zu arbeiten.
Und gerade mit diesem erzwungenem Abstand wird einigen bewusst, was für sie Arbeit bedeutet.
Einigen wird sicher das gute Arbeitsklima in der einen oder der anderen Firma abgehen; die freundlichen, hilfsbereiten Kolleginnen und Kollegen, der unaufgeregte Chef, der nicht nur die Euros im Auge hat, sondern auch das Wohl der Arbeitenden.
Andere werden vielleicht zu der Entscheidung kommen, sich nach der Krise etwas Neues zu suchen, weil sie gerade erleichtert wahrgenommen haben, wie gut es tut, nicht jeden Tag in das vergiftete Klima hineingehen zu müssen, weil sie mehr Lebensqualität in der Freizeit entdecken und darauf ihre Zukunft aufbauen wollen. So oder so, ich hoffe, dass die meisten von uns diese Krise nützen, um zu entdecken, wofür es sich lohnt zu leben.
In den heutigen Lesungen hören wir von der Auferweckung also von der Hoffnung, dass bei Gott der Tod nicht das letzte Wort hat. In der ersten spricht der Prophet Ezechiel dem Volk Israel zu, dass es von Gott aus den „Gräbern“ des Exils und der Hoffnungslosigkeit zum neuen Leben herausgeführt wird. Und in der zweiten sehen wir das Bild des Lazarus, der auf das Wort Jesu mit dem neuen Leben beschenkt wird. Es sind zwei schöne Bilder vom Zuspruch zum Neubeginn; zwei Bilder die auch mir Mut machen, zum Nein-Sagen zu allem, was mir das Leben raubt, was mich mitten im Leben zum Tod führt. Es sind zwei Bilder, die mein Leben verändern können, wenn ich mich dem zuwende, wo mein Leben mehr und lebenswerter wird.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
ich weiß es nicht, ob Sie sich nach dieser Coronakrise beruflich neu orientieren werden müssen oder nicht. Ich weiß es nicht, ob Sie jetzt zum Nachdenken kommen, und die Vor- und die Nachteile Ihres bisherigen Lebens abwägen werden. Ich wünsche Ihnen aber, dass diese Zeit, die mich an die Grabesruhe am Karsamstag erinnert, eine gute Entscheidungszeit für Sie wird. Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihre Arbeitsstelle oder Ihren bisherigen Alltag anders erleben und sich dafür einsetzen, dass jeder Mensch immer mehr wert ist, als eine seelenlose, und nur auf den Gewinn weniger Reicher ausgerichtete Wirtschaft.
Slawomir Dadas Pfarrer