Abschiede können neue Wege eröffnen

„In jener Zeit gingen die elf Jünger nach Galiläa auf den Berg, den Jesus ihnen genannt hatte. Und als sie Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder, einige aber hatten Zweifel. Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Vollmacht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ Mt 28, 16-20

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

wie gehen Sie mit den Abschieden um? Gehören Sie zu diesen Menschen, die sie gar nicht mögen, oder sind die Abscheide für Sie normale Zeremonien, ohne große Emotionen? Natürlich sind die Abschiede nicht immer miteinander vergleichbar und sie haben in der Regel eine sehr individuelle, persönliche Prägung. Für ein Kindergartenkind, das zum ersten Mal von der Mama für einen Vormittag getrennt wird, kann der Abschied in der Kindergartengarderobe zu einem Drama werden, obwohl die Trennung zwischen den beiden nur ein paar Stunden dauert. Auf der anderen Seite kann ein Abschied beim Begräbnis ganz ruhig, mit einer Gelassenheit gefeiert werden, weil ein geliebter Mensch ein erfülltes Leben hatte und zwischen ihm und den Angehörigen nichts geblieben ist, was noch zu regeln wäre.
Die Abschiede sind sehr unterschiedlich, aber gerade die großen, wie beim Auszug von Zuhause, wie der Aufbruch in einen neuen Abschnitt des Lebens  sind die Lehrer der Selbstständigkeit. Denn dort, wo der Mensch das ihm bisher Gewohnte hinter sich lässt, muss er neue Wege suchen, und reift und lernt, sich in einer neuen Situation zurecht zu finden. Wenn jemand gerade in wichtigen Momenten des Lebens keinen Abschied nehmen kann, dann bleibt er in der Geschichte hängen und kann sich nicht weiter entwickeln. Ich glaube, dass die meisten von uns Menschen kennen, die man erwachsene Kinder nennen müsste, die – warum auch immer – sich von ihren Eltern nicht ganz abgenabelt haben und nicht frei sind, die sogenannten Muttersöhnchen.

Das Fest Christi Himmelfahrt ist ein Abschied – aber nicht im Bereich der Entwicklungspsychologie, sondern im Bereich der Glaubensentwicklung. Wären die Frauen und Männer, die Jesus nachgefolgt sind, bereit gewesen, ihn zu verkünden, für ihn alles hinten zu lassen, ja für ihn zu sterben, wenn er bei ihnen geblieben wäre? Vermutlich nicht. Sie hätten wahrscheinlich im Glauben nicht selbstständig werden können.

Manchmal treffe ich erwachsene Menschen, die in ihrem Kinderglauben stecken geblieben sind. Ich meine nicht Menschen die ständig fragen und suchen, sondern gerade umgekehrt, ich meine Menschen, die keine Fragen über Gott und das Glaubensleben zulassen, weil sie meinen, in ihrer Kindheit alle Antworten gefunden zu haben. Ich nenne eine solche Haltung „nicht pubertiert im Glauben“. Denn die Pubertät ist gerade der Übergang zum erwachsenen Leben, das Loslassen alter Geschichten, um dem Leben aufgeklärt zu begegnen, nicht nur aus dem Gehorsam Entscheidungen zu treffen, sondern aus der Erkenntnis, dass sie gut sind. Pubertät im Glauben heißt für mich – ein erwachsener Christ zu werden, den Glauben nicht als Magie zu betrachten, sondern als einen Weg mit Gott, die Sakramente nicht als Zauberstab zu verstehen, der automatisch das fromme Leben bewirkt, sondern – so wie sie sind – als Zeichen und Feier der Anwesenheit Gottes bei uns, die uns verpflichtet, die uns Kraft gibt, die uns auf den schwierigen Lebenswegen stärkt. Ja, die Freunde Jesu sind mit seinem Abschied gereift, sie sind im Glauben erwachsen geworden.

Christi Himmelfahrt bedeutet für mich die göttliche Zusage an uns: „Ihr schafft das, auch wenn ich nicht leibhaftig bei Euch bin.“ Jesus mutet seinen Freunden zu, dass sie seine Botschaft weitertragen, dass sie sich für diese Botschaft einsetzen, dass sie Gott und seine Liebe in der Welt präsent machen. Christus geht in den Himmel, damit wir erwachsen werden im Glauben.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
die Abschiede sind manchmal schwer, aber sie eröffnen uns neue Wege, verlangen von uns eine Neuausrichtung, lassen uns wachsen und reifen. Die Abschiede sind notwendig, um nicht in der Abhängigkeit zu bleiben, um sich frei entwickeln zu können. Ich wünsche uns allen, dass wir lernen, die Abschiede nicht nur als Verlust, sondern auch als eine Chance zu sehen. Ich wünsche uns, dass uns das Fest Christi Himmelfahrt zur Übernahme der Verantwortung im Glauben motiviert, damit die Botschaft Jesu durch uns in der Welt eine neue Kraft bekommt.

Slawomir Dadas
Pfarrer