Wenn man sich daran macht, die Bibel auszulegen, so zu erklären, dass Sinn und Absicht verständlich werden, dann wird man leicht mit dem Vorwurf konfrontiert, die Schrift nicht ernst zu nehmen, sie umzudeuten. Trotzdem werde ich das heute, aus gutem Grund, wieder versuchen.
Der erste Teil des eben Gehörten ist einfach, den können wir durchaus wörtlich nehmen. Menschen, die sich wichtig nehmen, ständig in den Vordergrund spielen und rücksichtslos auf Kosten anderer leben, die gibt’s heute genauso wie zur Zeit Jesu. Früher wurde dieser Passus des Markusevangeliums oft auf die hohen Amtsträger der Kirche bezogen, nicht immer zu Unrecht, wenn wir etwa an den Ablasshandel denken. Heute ist dieser Vorwurf kaum mehr gerechtfertigt. Aber diesem Menschentyp, den Jesus da so schroff verurteilt, dem begegnen wir häufig immer noch, in der Politik, in der Wirtschaft, sogar im Sport. Menschen, die sich dünken, etwas Besonderes zu sein, die sich in der Anerkennung anderer sonnen und sich dabei schamlos an den sogenannten kleinen Leuten bedienen und von denen auch noch bewundert werden.
Auf den ersten Blick ist auch die Aussage des zweiten Teils des Evangeliums trivial und offensichtlich. Der Wert eines Opfers, eines Geschenks, einer Gabe wird nicht vom absoluten Geldwert bestimmt, sondern vom Verhältnis zum Vermögen des Gebers. Wenn ein Millionär 10.000 Euro spendet, dann ist nichts gegen ein paar Euro eines Mindestrentners.
Beim genauen Lesen steht aber da: die einen haben nur von ihrem Überfluss gegeben, die arme Witwe aber gab alles, was sie hatte. Alles.
Jetzt kann man einwenden, dass so ein Handeln nicht nur dumm, sondern auch noch grob fahrlässig, ja verantwortungslos wäre. Auch wenn man nicht viel hat, darf man nicht alles weggeben. Es würde die eigene Existenz kosten und dazu auch noch die der uns Anvertrauten, die Existenz derer, für die wir Verantwortung tragen.
Der Einwand besteht zurecht und wir merken, da geht es nicht mehr um Kollekte, nicht mehr darum, ein paar Münzen in den Opferstock zu werfen.
Martin Luther hat hier den sperrigen Ausdruck „Opferkasten“ etwas eigenartig, aber großartig mit „Gotteskasten“ übersetzt. Die arme Witwe wirft nicht nur alles, was sie besitzt, sie wirft sich selber, alles was sie ausmacht, in diesen Gotteskasten, sie gibt sich Gott hin mit ihrer ganzen Existenz, sie hält nichts zurück.
Der äußere Schein zählt nicht für Gott, genau so wenig wie schöne Kleider und protziges Gehabe. Was vor Gott zählt, das bist du – so, wie du bist, ungeschminkt. Du mit all deinen Schwächen und Fehlern und mit all deinen Stärken und Fähigkeiten, die du wirklich hast. Du brauchst keine Maske zu tragen – wenn Gott dich ansieht, dann ist es sinnlos, etwas zu verstecken. Und Gott sagt dir:
Es ist gut, dass es dich gibt, du darfst so sein, wie du bist. Ich will dich, genau dich – und ich will dich ganz.
Das ist die Radikalität, die in unserem Glauben steckt. Gott will nicht nur einen Teil von uns, nicht ein Almosen aus unserem Überfluss. Er will alles. Selbst, wenn dieses Alles nur zwei kleine Münzen sind.
Rudolf Bittmann Diakon