Beim Hören des Evangeliums könnte man auf den Gedanken kommen, dass auch für die Kirche Weihnachten schon vorbei wäre. Gestern noch haben wir die schöne Geschichte gehört vom Stall, dem Neugeborenen in der Krippe, von Engeln und Hirten. Eine schöne Szene, zwar einfach und ärmlich, aber doch so friedvoll und geradezu heimelig.
Die üblichen Texte und Lieder von Weihnachten zielen aufs Gemüt, aufs Gefühl, das hat auch durchaus seine Berechtigung. Aber wenn wir als Christen beim bloßen Gefühl stecken bleiben, dann verkommt Weihnachten zu einem netten aber beliebigen und folgenlosen Ereignis im Jahr. Darum ist es wichtig, nachzudenken darüber, was uns mit der Geburt Jesu geschenkt wurde und was das für uns und unsere Welt bedeutet.
Der Kontrast von der Krippenidylle zu dem tiefschürfenden und unverständlichen Text heute, von einem Wort, das bei Gott ist und das Gott ist und das Fleisch wird könnte nicht größer sein und die Sätze sprechen uns nicht so leicht an. Aber so schwer zu verstehen, wie es den Anschein hat, ist das gar nicht. „Wort“ ist ja nicht nur eine grammatikalische Bezeichnung. „Wort“ ist vielmehr eine Wirklichkeit, wenn auch keine materielle. Aus eigenem Erleben wissen wir, was ein Wort alles bewirken kann. Würde man behutsamer damit umgehen, dann bliebe manches Wort wahrscheinlich nie gesprochen. Wieviel Leid nimmt seinen Anfang mit einem einzigen Wort. Genau so tragisch ist es, wenn das eine richtige Wort nicht gesagt wird – es kommt zu keinem Anfang, weil ein einziges Wort fehlt. Dabei könnte Neues beginnen, könnte etwas in Bewegung kommen, könnte ganz anders werden, wenn nur ein einziges Wort gesprochen würde.
„Im Anfang war das Wort“, so beginnt das heutige Evangelium. Und dieses ewige Wort, also Gott, macht einen neuen Anfang: „das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“. Gott ist in Jesus Mensch geworden um uns auf Augenhöhe zu begegnen. Weihnachten ist das Erinnerungsfest an diesen neuen Anfang, den Gott mit den Menschen gemacht hat und die Erinnerung an die Hoffnung, die in jedem Anfang liegt.
Heute ist da kein süßes Christkind im Mittelpunkt der Erzählung. Die nüchterne Sprache des Johannes holt uns zurück auf den Boden. Es geht nicht um einen holden Knaben im lockigen Haar, es geht um Gottes Sohn, um Gott selbst, der uns Menschen nachgeht und uns, auf für uns unbegreifliche Weise, nahe kommt als Gott und Mensch zugleich.
Und „das Licht leuchtet in der Finsternis“, steht da, weil Gott mitten in unser Leben gestiegen ist, das oft finster ist vor Sorge, Verzweiflung, Krankheit, Trauer, Mutlosigkeit.
Das ist die wirkliche Weihnachtsbotschaft, die Botschaft von einem Leben, dem wir trotz allem trauen dürfen. Von einem Leben, das wir wagen dürfen obwohl es oft genug hart und schwierig ist und alles andere als weihnachtlich verklärt.
Wir dürfen diesem Leben trauen, wir dürfen es wagen, weil Gott es mit uns wagt. Weil er selbst in dieses Leben hineingestiegen ist, uns darin begegnet und uns darin begleitet.
Vor 2000 Jahren hat Gott einen neuen Anfang für die Menschheit gesetzt. Aber das war kein einmaliges Geschehen. Gott schenkt jedem von uns immer wieder neu diesen Anfang und die Hoffnung, die damit verbunden ist. Und darum ist das eigentliche Weihnachten nie vorbei.
Rudolf Bittmann Diakon