Wie haben sie dieses Evangelium verstanden, wie ist es bei ihnen angekommen? Als Herausforderung? Als Überforderung? Vielleicht sogar bedrohlich, wird hier doch der moralische Anspruch an uns so hoch gelegt, dass wir den sowieso nie erfüllen können?
Aber hören wir noch einmal genau hin in die Worte Jesu. Es sind starke Bilder, die er da aufstehen lässt. Aber im Grund stimmt es doch, dass nichts dabei ist, jemandem etwas zu leihen, wenn ich weiß, das bekomme ich zurück. Und jemanden zu lieben, der mich zurückliebt ist ziemlich einfach. Gutes tun im Austausch dagegen, wieder Gutes zurückzubekommen, das ist wie gleichwertige Geschenke auszutauschen.
Jesus agiert wie ein guter Trainer, ein Motivator, der uns anspornt: ihr könnt es, ihr könnt mehr als das Selbstverständliche. Ein Trainer, der die Seinen antreibt, mehr zu tun, immer besser zu werden.
Und als Argument zählt hier nicht eine Medaille, ein Pokal oder eine millionenschwere Siegesprämie wie im Sport. Das einzige Argument, das Jesus anführt, heißt: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Da ist keine Drohung, kein Zwang, da ist nur ein geradezu rührendes Werben.
Im Grund ist das doch eine echte Frohe Botschaft.
Und dann kommt ein Bruch im Text des Lukas. Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet. Die Barmherzigkeit Gottes, von dem es eben noch geheißen hat, er ist gütig, auch gegen die Undankbaren und Bösen, diese Barmherzigkeit wird plötzlich begrenzt, beschränkt auf die eigene Leistung. Wenn du Gutes tust, wird auch dir Gutes getan werden, wenn du Böses tust, wird auch dir Böses getan werden. Eine völlig unlogische Kehrtwendung, die das vorher Gesagte ins Gegenteil verdreht.
Ich kann es mir nur so erklären, dass schon damals, nur 50 Jahre nach dem Tod Jesu, die Leitung der jungen Kirche zur Meinung gekommen ist, dass dieses positive Werben Jesu mit dem Verweis auf Gottes Güte und Barmherzigkeit nicht genügt, dass da schon eine ordentliche Portion Drohung und Härte nötig ist, um dem Nachdruck zu verleihen.
Die Kirche hat diese Haltung über die Zeit beibehalten. Es wurde viel zu viel von einem strengen, strafenden Gott gesprochen, von einem Gott, der alles sieht, alles hört und jedes Vergehen und jedes Fehlverhalten bestraft. Aus dieser Haltung entstand die Lieblosigkeit und Unbarmherzigkeit, die in vielen Regeln, Gesetzen und Entscheidungen der Institution Kirche heute noch sichtbar wird und gerade in den letzten Jahren erleben wir die fatale Auswirkung davon.
Und es wurde und wird bis heute immer noch zu wenig von dem Gott geredet und gepredigt, den Jesus verkündet hat: dem Gott, der gütig ist und barmherzig, dem Gott, der die Liebe selbst ist.In dieser Evangelienstelle geht’s nicht darum, dass Gott das Gute belohnt und das Böse bestraft. Es geht Jesus um den Menschen, darum, dass wir anfangen unsere Verantwortung füreinander ernst zu nehmen, darum, dass wir entdecken, dass füreinander einzustehen und für den anderen da zu sein, dass dies ein wahrer, ja der wahre Gottesdienst ist. Darum geht es ihm.
Rudolf Bittmann Diakon