Was brauchen wir, um ein erfülltes Leben führen zu können?

Liebe Christ*innen, versammelte Gottesdienstgemeinde, 

am Donnerstag hat mich eine traurige Nachricht erreicht: nach längerer schwerer Krankheit ist die Mutter einer sehr guten Freundin meines Sohnes an den Folgen ihres Krebsleidens verstorben. Plötzlich ist ganz gegenwärtig, dass das Leben endlich ist. Und dass wir uns nichts Materielles mitnehmen können an der Schwelle des Todes. Da keimt die Frage auf: Was brauchen wir, um ein erfülltes Leben führen zu können? Das ist eine Frage, der Menschen schon seit Jahrtausenden nachgehen.

Wenn ich mir die vielen Glücksratgeber in unseren Bücherregalen ansehe, dann ist das wohl eine hochaktuelle Frage.

Jesus spricht im Evangelium durch die Jahrhunderte in unsere heutige Zeit und sagt: Eigentlich braucht ihr das alles nicht. Wenn ihr mir nachfolgt, dann vertraut darauf, dass das, was notwendig ist, euch geschenkt wird bzw. ihr es schon in euch tragt.

  • Aussendung der 72

Schon heftig diese Stelle der Aussendung. Davon gibt es mehrere in den Evangelien: Zum Beispiel: Im 9. Kapitel des Lukasevangeliums wird Lukas von der Aussendung der 12 berichtet. Hier im 10. Kapitel, das wir gerade gehört haben, werden 72 ausgesendet.

Eine Textstelle im Evangelium aus der die Kirche immer wieder ihre missionarische Kraft schöpft, einzelne Aspekte will ich herausarbeiten.

Die Symbolzahl 72, die ausgesendet werden, deutet auf die Anzahl der bekannten Völker (als Nachkommen Noahs) aus dem 10. Kapitel im Buch Genesis hin – es geht also um eine Sendung zu allem Menschen. Nicht nur zu denen, die offen sind für die Botschaft.

Diese Szene aus dem Evangelium ist auch hier in unserer Kirche dargestellt, hinter mir als Steinrelief. Da ist Jesus, da sind die Jünger, da ist eine Botschaft. Als Zumutung empfinden wir das, so ganz ohne alles ausgeschickt zu werden: Ohne Schuhe, ohne Geldbeutel und ohne Vorratstasche.

Das würde für uns heute bedeuten: Ohne Handy, ohne Bankomatkarte, ohne Schlüssel, ohne Wasserflasche und Jause, ohne Multifunktionstool, ohne Versicherungskarte, ohne Reisepass … (Hinweis – diese Dinge wurden mit den Kindern gemeinsam am Beginn des Gottesdienstes aus einem Rucksack vor dem Altar gepackt). Nur die Zusage: das, was ihr braucht, werdet ihr erhalten.   Und dann auch noch: „Ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe“ – hilflos, ausgesetzt. Alles andere als ein Selbstläufer.

  • Wer es wörtlich versteht

Für manche Ordensgruppen (z.B. die Jesuiten) ist zu Beginn ihrer Tätigkeit vorgesehen, eine Pilgerreise mit einfachsten Mitteln zu unternehmen (z.B. von Innsbruck nach Rom). Ein guter Bekannter hat sich das vor einigen Jahren mit einer Jugendgruppe getraut: sich auf den Weg gemacht, zu Fuß vom Innviertel ins Salzkammergut. Ohne Geld, nur mit dem Nötigsten. Sie haben auf dem Weg gefragt, ob sie zum Beispiel auf einem Bauernhof mithelfen dürfen und um Unterkunft ersucht, sie haben um Nahrung gebeten – also raus aus der Komfortzone und mitten rein in die Herausforderung. Die Aufforderung Jesu wurde da also wörtlich genommen. Was sich dadurch verändert ist die Einstellung zu unseren Selbstverständlichkeiten. Wie schwer fällt es uns die Finger auch nur ein paar Minuten von unseren Smartphones zu lassen?

An ein Lied der Band Silbermond erinnert mich das: „Mit leichtem Gepäck“. In dem Lied hinterfragen sie, was man im Leben wirklich braucht und dass man viel besser vorankommt, wen man nicht zu viel mit sich schleppt. Das passt gut zur Botschaft Jesu: Hängt nicht zu sehr an den irdischen Dingen.

Neben dieser großen Challenge lese ich aber auch vier Entlastungen im Evangelium: 

  • Eine erste Entlastung: „nicht alleine“

Jesus sendet die Jünger nicht alleine aus (vgl. Lk 10,1) – sondern immer zu zweit, das hilft beim Durchhalten. An die Orte, wohin er selber kommen wollte, sendet er sie. Es geht darum, den Weg zu bereiten.

  • Eine zweite Entlastung: „Gott ist schon da“

In den letzten Jahren hatte ich stets einen Satz in meinem Kalender stehen: „Gott ist immer schon bei den Kindern und Jugendlichen – also schon lange bevor sie mit den Jugendverantwortlichen in Kontakt kommen.“ Wir müssen Gott also nicht zusätzlich hintragen, wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott schon da ist. Wir dürfen dabei mithelfen, ihn spürbar werden zu lassen.

Im Evangelium heißt es: die Ernte ist groß und es gibt zu wenige Arbeitende (vgl. Lk 10,2).

Das Zuwenig an Arbeitenden beziehen wir heute gerne auf die geistlichen Berufe, deren Anzahl in Mitteleuropa stetig zurück geht, dabei geht es nicht darum, das auszulagern an spezielle Gruppen. Es geht nicht darum, dass wir uns zurücklehnen und die anderen mal tun lassen. Nein, jede und jeder von uns ist gefragt dabei mitzuhelfen, Gottes Wirken in unserer Welt trotz aller Niederschläge und Mühsale deutlich zu machen. 

  • Entlastung Nummer drei: „Die Probe“ und der Friede

Es gibt im Lukasevangelium eine Stelle in der Jesus auf diese sehr herausfordernde Sendung Bezug nimmt. Die finden wir im 22. Kapitel (LK 22,35f, nach dem Abendmahl und direkt vor dem Gebet am Ölberg), wo er daran erinnert, dass er die Jünger ohne Geldbeutel und ohne Schuhe ausgeschickt hat – mit der Frage: ob sie da Not gelitten hätten. Was sie verneinen. Es war eine Frage des Vertrauens, eine Erprobung, ob sie sich darauf einlassen werden. In diesem späteren Sendungsauftrag kurz vor seinem Leiden lässt er zu, dass Schuhe und Geldtasche mitgenommen werden.

Wenn wir ankommen – dazu ruft Jesus auch uns auf, dann ist die erste Botschaft der Friede – das ist es, was er als Auferstandener bei seinen Erscheinungen den Jüngern wünscht: Frieden (vgl. Joh 20,19). Mit offenen und nicht geballten Händen aufeinander zugehen, ist seine Aufforderung. Und er ermutigt sie dazu, in seinem Namen Kranke zu heilen – heil zu machen und auf das Nahen, ja das Anbrechen des Reiches Gottes hinzuweisen. Es ist schon spürbar, aber es ist noch nicht in seiner ganzen Form da.

Papst Franziskus hat in einer Ansprache (2013 an herangehende junge Menschen in geistlichen Berufen; Quelle: An die Seminaristen, Novizen und Novizinnen aus aller Welt, die zum Jahr des Glaubens nach Rom gekommen sind (6. Juli 2013) | Franziskus (vatican.va)) deutlich gemacht, worauf es dabei ankommt, dass das Reich Gottes spürbar ist: auf dich und mich durch unser Leben!

„Ich sage immer das, was der hl. Franz von Assisi bekräftigte: Christus hat uns gesandt, um das Evangelium auch durch das Wort zu verkündigen. Der Satz lautet folgendermaßen: »Verkündet stets das Evangelium. Und wenn es nötig sein sollte, dann tut es in Worten«. Was heißt das? Das Evangelium verkündigen durch die Authentizität des Lebens, durch ein kohärentes Leben [kohärent = folgerichtig zusammenhängend, schlüssig; authentisch = echt].  […]

Wir müssen kohärent sein, authentisch sein. Um diesen Weg zu gehen, müssen wir das tun, was der hl. Franz sagt: predigen wir das Evangelium durch unser Vorbild, und erst dann in Worten! Vor allem aber müssen die anderen Menschen das Evangelium anhand unseres Lebens ablesen können! Auch hierin ohne Furcht, mit all unseren Fehlern, die wir zu korrigieren suchen, mit den uns gesetzten Grenzen, die der Herr kennt – aber auch durch unsere Großherzigkeit dabei, zuzulassen, dass er in uns wirkt.“

Damit das gelingt gilt es, dass wir uns selber immer wieder mit der Frohen Botschaft beschäftigen. Mit den Worten des Hl. Augustinus gesprochen: „In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst“. Es muss dort echt – authentisch abzulesen sein. Dann wird es Resonanz finden und sich verbreiten.

  • Entlastung Nummer vier: Lasst euch auch von Sackgassen am Weg nicht entmutigen

Und trotzdem gesteht Jesus zu: Meine Nachfolge ist keine easy-win-Erfolgsstory – ihr werdet auch abgelehnt werden, ihr werdet Niederlagen erleiden (vgl. Lk 10,10ff). Man wird euch ausschließen und euch nicht zuhören und nicht aufnehmen. Ihr braucht also auch Frustrationstoleranz. Aber dann schüttelt den Staub von euren Füßen und lasst die Dinge auch mal sein. Lasst euch davon nicht bekümmern.

Und wenn man im Evangelium noch ein Stück weiterliest, dann hören wir von den Jüngern, die zurückkommen (vgl. Lk 10,17-20) und die berichten, dass einiges aufgegangen ist. Ihnen ist sogar Außergewöhnliches gelungen, wenn sie im Namen Jesu unterwegs waren. 

  • Den Rucksack neu packen

Wenn wir also nichts Materielles mitnehmen sollen auf unsere Reise, was sollen wir dann in unseren Rucksack packen? Ein paar Dinge sind mir da untergekommen, die ich gerne mit euch Kindern in den Rucksack einpacken will. Da fallen mir aus dem Buch, das die Geschichten von Jesus erzählt, ja einige Dinge entgegen:

  • Da wäre die Zuversicht, dass am Ende alles gut wird.
  • Da wäre das Zutrauen, dass Gott jeden und jede von uns ruft.
  • Da wäre die Hoffnung, dass wir mit unserem Gott Mauern überspringen können, wenn wir uns trauen die sichere Komfortzone zu verlassen.
  • Da wäre die Liebe zu uns Menschen und die Zusage, dass Gott uns niemals alleine lässt, egal was passiert. Tiefer können wir nicht fallen als auf göttlichen Grund, der wie eine Hand ist, die uns auffängt.
  • Da wäre das Durchhaltevermögen, dass wir uns von Misserfolgen nicht entmutigen lassen.
  • Da wäre die Kraft für den ersten Schritt. Denn auch der längste Weg beginnt mit einem ersten Schritt und bei langen Wanderungen, wenn die Kräfte nachlassen, habe ich mir immer wieder gedacht: Mit jedem Schritt den ich gehe, komme ich dem Ziel meiner Reise einen Schritt näher. Ist der erste Schritt einmal gemacht, kostet der zweite nicht mehr so viel Mühe und der dritte geht schon viel leichter.
  • Da wäre der Friede, den Jesus und wünscht und den wir zu den Menschen bringen dürfen. Eine offene und friedfertige Haltung löst für sich noch nicht alle Probleme, aber sie erleichtert das Miteinander ungemein.
  • Da ist die Bereitschaft zum Echt sein und dass wir durch unser Leben die Träger*innen der Botschaft sind.

Vielleicht fallen euch ja auch noch ein paar Wegbegleiter*innen ein, die auf unserer Reise zu den Menschen sinnvoll sind.

Soweit meine Gedanken zum heutigen Evangelium.

Christoph Burgstaller
Pastoralassistent