Liebe Schwestern, liebe Brüder,
Sie kennen den Brauch, dass man vor dem Geburtstag nicht gratuliert. Man wartet geduldig oder ungeduldig bis zu dem Festtag, um dann dem Geburtstagskind ein Ständchen zu singen und die Glückwünsche zu überbringen. Diese Tatsache beruht im deutschsprachigen Raum auf dem Aberglauben, dass böse Geister dazu beitragen könnten, dass die Wünsche, die zu bald ausgesprochen werden, nicht in Erfüllung gehen. Für mich ist das Warten und Er-Warten können ein Teil der positiven Spannung und der Vorfreude vor einem besonderen Ereignis.
Auf der anderen Seite bemüht sich die Wirtschaft, im Sinne, wer der erste ist, der verdient am meisten, vieles vorwegzunehmen. Den Schoko-Nikolaus kann man schon Anfang November kaufen, die Adventmärkte öffnen in der Regel bereits eine Woche vor dem Advent, und der süße Osterhase hüpft durch die Regale der Geschäfte schon bald, nach dem das Christkind abgezogen ist.
Es ist keine Seltenheit, dass einige Menschen den Advent sehr intensiv ausleben und dann zu Weihnachten feststellen, dass sie keine Lust mehr auf Glitzer, Lichter und Christbäume haben, und keine „Weihnachtsschlager“ mehr hören können. Dass in solchen Situationen das Weihnachtsfest nur noch mit Frust verbunden ist, verwundert mich nicht, weil der Zauber des Festes durch ein paar „Firmenweihnachtsfeiern“, durch ein paar Punsch auf Christkindelmärkten und durch Jingle Bells bei der Besorgung der Geschenke verwässert wurde.
Der Zauber eines Festes kann nur dann erfahren werden, wenn man auch bereit ist, das Fest abzuwarten, es mit Geduld und Freude kommen zu lassen – es werden zu lassen. Der Schlüssel zu einem besonderen Genuss eines Festes ist die Sehnsucht danach, der man einen Raum geben muss; Sehnsucht, von der man sich durch Konsum nicht ablenken darf, Sehnsucht, die durchs Zudröhnen aus unserem Blick verschwindet, die verschüttet werden kann.
Die heutigen biblischen Texte sprechen genau dieses Thema an. Der Prophet Jesaja bringt die große Sehnsucht nach der Gerechtigkeit Gottes, nach seinem Heil, das im alltäglichen Leben spürbar werden sollte, zum Ausdruck. Er macht den Menschen Mut, ihre Träume von einer blühenden Wüste, von Freude und Jubel nicht zu verwerfen, sondern sie wach zu halten, daran zu glauben, dass mit Gott alles möglich ist.
Johannes der Täufer schickt seine Jünger zu Jesus und will wissen, ob sich in ihm die Sehnsucht des Volkes erfüllt, ob Jesus der Gesandte Gottes ist, der den Weg zum Frieden und zum Heil zeigt. Jesus antwortet darauf mit dem Hinweis auf die sichtbaren Zeichen: weil die Blinden sehen, die Aussätzigen reinwerden, die Armen Anteil an der Frohen Botschaft haben, darum ist er der Gesandte Gottes. In Jesus hat sich die Erwartung nach dem Kommen des Erlösers erfüllt, weil er den Weg der Gerechtigkeit gegangen ist und die Menschen mit einer neuen und dauerhaften Hoffnung erfüllt hat. Jesus ist für viele die Sternstunde ihres Lebens geworden, weil in ihrem Leben durch ihn das Heil Gottes Realität wurde.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
wenn Sie Sternstunden erleben wollen, dann müssen Sie sich Ihrer Sehnsucht stellen. Denn die Sehnsucht macht uns bewusst, dass in unserm Leben vieles unvollkommen und unvollständig ist, aber sie lässt uns vom Vollkommenen träumen. Sie ruft Fantasien hervor, wie eine neue, heilvollere Realität aussehen könnte und weckt in uns positive Kräfte, um ihr näher zu kommen. Sie richtet unseren Blick nach vorne und hilft uns, die Gegenwart als einen Zwischenschritt in eine bessere Zukunft zu sehen.
Ja, die Sehnsucht ist die Voraussetzung aller Sternstunden des Lebens und des Glaubens, dadurch, dass sie uns lehrt, die Sternstunden zu Er-Warten, sie werden zu lassen, in Schwierigkeiten den Mut nicht zu verlieren, nicht zu verzweifeln, sondern an uns selbst und an unsere Träume zu glauben.
Ich wünsche uns allen, dass wir nicht meinen, alles vorweg nehmen zu müssen, um ein wenig Freude im Leben zu erfahren, sondern dass wir bereit sind, die Sternstunden abzuwarten, die mit sich den Glanz zum richtigen Zeitpunkt bringen. Ich wünsche uns, dass wir unseren Träumen und unseren Sehnsüchten also den Wegweisern zu Glücksmomenten folgen. Ich wünsche uns, dass wir viele nette Erfahrungen, die in unseren Alltag ein wenig Licht bringen, nicht mit den Sternstunden verwechseln, die man erwarten und werden lassen muss, um sich an ihrem Glanz zu erfreuen.
Slawomir Dadas Pfarrer